Der Doktor und das liebe Vieh
und salutierte mit einem Finger. Es war, als erkenne er in Siegfried etwas von der Kraft und Autorität des alten Doktors wieder und fühle sich in die Vergangenheit zurückversetzt.
»Morgen, Boardman«, rief ich, während ich die Garagentür öffnete. »Wie geht’s Ihnen?«
»So leidlich, mein Junge, so leidlich.« Er kam zu mir herübergehumpelt und sah zu, wie ich die Kurbel für den Anlasser ergriff und mit der täglichen Routinearbeit begann. Der Wagen, den Siegfried mir überlassen hatte, war ein winziger Austin eines nahezu vergessenen Jahrgangs, und eine von Boardmans freiwillig übernommenen Pflichten bestand darin, ihn abzuschleppen, wenn der Motor nicht anspringen wollte. Aber an diesem Morgen klappte es erstaunlicherweise schon nach sechs Umdrehungen.
Als ich um die Ecke des hinteren Weges fuhr, hatte ich wie jeden Morgen das Gefühl, erst jetzt beginne der Tag wirklich. Die Probleme und Nöte meiner Arbeit warteten auf mich, und im Augenblick hatte ich deren viele.
Ich war, wie mir schien, zu einem ungünstigen Zeitpunkt in die Dales gekommen. Die Bauern hatten nach jahrhundertelanger Vernachlässigung die Ankunft eines Propheten erlebt, des großartigen neuen Tierarztes Mr. Farnon. Er war mit seinen neuen Ideen wie ein Komet aufgetaucht, und sie hatten den tüchtigen, energischen und charmanten Mann empfangen wie ein Mädchen seinen Geliebten. Und nun, auf dem Höhepunkt der Flitterwochen, drängte ich mich dazwischen. Ich war einfach nicht erwünscht.
Allmählich gewöhnte ich mich an die Fragen: »Wo ist Mr. Farnon?« – »Ist er krank oder sonst was?« – »Ich dachte, Mr. Farnon würde kommen.« Es war ein bißchen entmutigend, ihre enttäuschten Gesichter zu sehen, wenn ich auf ihren Hof zukam. Meistens blickten sie hoffnungsvoll an mir vorbei, und einige liefen sogar zum Wagen, um festzustellen, ob der Mann, den sie erwarteten, sich dort vielleicht versteckt hielt. Und es war schwierig, ein Tier zu untersuchen, wenn sein Besitzer verärgert im Hintergrund stand und von ganzem Herzen wünschte, daß ich jemand anders wäre.
Trotzdem waren sie fair, das mußte ich zugeben. Zwar wurde ich nicht gerade überschwenglich begrüßt, und wenn ich ihnen sagte, wie ich über den Fall dachte, hörten sie mit unverhohlener Skepsis zu, aber wenn ich meine Jacke auszog und mich in die Arbeit hineinkniete, merkte ich, daß sie ein wenig auftauten. Und sie waren gastfreundlich. Mochten sie auch enttäuscht sein, daß sie es nur mit mir zu tun hatten, sie baten mich stets ins Haus. »Kommen Sie herein und essen Sie einen Happen«, war ein Satz, den ich fast jeden Tag hörte. Manchmal kam mir die Einladung sehr zupaß, und ich verzehrte einige denkwürdige Mahlzeiten bei ihnen.
Oft legten sie mir auch ein halbes Dutzend Eier oder ein Pfund Butter in den Wagen, wenn ich abfuhr. Die Gastfreundschaft war eine Tradition in den Dales, und ich wußte, daß sie wahrscheinlich für jeden Besucher das gleiche tun würden, aber es war immerhin ein Zeichen für die freundliche Gesinnung, die sich hinter den finsteren Mienen dieser Leute verbarg, und das half.
Ich fing an, die Bauern besser kennenzulernen, und was ich über sie herausfand, gefiel mir. Ihre Widerstandskraft und ihre philosophische Haltung erregten meine Bewunderung. Mißgeschicke, bei denen der Städter vor Verzweiflung mit dem Kopf gegen die Wand rennen möchte, wurden achselzuckend mit einem »Na schön, solche Dinge passieren eben« abgetan.
Kapitel 7
Ich bemerkte kaum, wie die Wochen dahingingen, während ich auf meiner täglichen Runde die Straßen entlangratterte. Aber der Bezirk Darrowby begann Form anzunehmen, die Leute standen mir als Individuen vor den Augen. An den meisten Tagen hatte ich eine Panne. Sämtliche Reifen waren völlig abgefahren, und ich konnte nur staunen, daß sie mich überhaupt noch irgendwohin trugen.
Eines der wenigen ›Extras‹ an dem Wagen war ein rostiges Schiebedach. Es quietschte schrecklich, wenn ich es öffnete oder schloß. Meistens aber ließ ich es, ebenso wie die Fenster, offen und fuhr in Hemdsärmeln, während die köstliche Luft um mich herumwirbelte. An feuchten Tagen hatte es nicht viel Sinn, das Dach zu schließen, denn der Regen tropfte durch die Fugen und bildete Wasserlachen auf meinem Schoß und dem Beifahrersitz.
Ich entwickelte ein großes Geschick, in Slalomfahrt den Pfützen auszuweichen. Hindurchzusteuern war ein Fehler, da das schmutzige Wasser durch die Lücken zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher