Der Doktor und das liebe Vieh
Messer zu schärfen. Er hatte großen Spaß daran. Je öfter er das Messer über den Stahl zog, desto mehr begeisterte ihn seine Arbeit, und schließlich fing er an zu singen. Aus der Küche drang kein Laut, man hörte nur das Klirren von Stahl auf Stahl, begleitet von dem unmelodischen Gesang; hin und wieder gab es eine Pause, während er sorgfältig die Schneide prüfte; dann begann das Schleifen von neuem.
Als Siegfried die Arbeit zu seiner Zufriedenheit beendet hatte, spähte er ins Haus. »Wo ist Ihr Mann?« rief er.
Da er keine Antwort bekam, marschierte er in die Küche und schwenkte triumphierend die schimmernde Klinge. Ich folgte ihm. Mrs. Seaton und ihre Töchter kauerten in einer Ecke und starrten Siegfried mit großen, erschrockenen Augen an. Er machte eine weit ausholende Bewegung mit dem Messer. »So, kommen Sie, ich kann jetzt anfangen.«
»Anfangen? Womit?« flüsterte die Mutter und drückte ihre Kinder fest an sich.
»Ich möchte Ihr Schaf sezieren. Sie haben doch ein totes Schaf, nicht wahr?«
Nun folgten Erklärungen und Entschuldigungen.
Später machte mir Siegfried ernste Vorhaltungen, weil ich ihm angeblich die falsche Adresse genannt hatte. »In Zukunft müssen Sie etwas besser aufpassen, James«, sagte er streng. »So was macht nämlich einen sehr schlechten Eindruck.«
Eine interessante Erscheinung in meinem neuen Leben war das ständige Kommen und Gehen von jungen Damen in Skeldale House. Sie stammten alle aus guter Familie, waren meistens hübsch und hatten eines gemeinsam: Begierde. Sie kamen zu einem Drink, zum Tee, zum Dinner, aber das alles war nur ein Vorwand, um Siegfried anzustarren, als wären sie durstgeplagte Reisende in der Wüste, die eine Oase sichten.
Ich fand es schädlich für mein Selbstbewußtsein, wenn ihr Blick uninteressiert, ohne ein Zeichen des Wiedererkennens über mich hinwegglitt und sich auf meinen Kollegen heftete. Nicht etwa, daß ich neidisch war, aber ich stand vor einem Rätsel. Ich beobachtete ihn heimlich und versuchte das Geheimnis seiner Anziehungskraft zu ergründen. Beim Anblick der abgetragenen Jacke, die um seinen mageren Körper schlotterte, des durchgescheuerten Hemdkragens und der billigen Krawatte kam ich zu dem Schluß, daß Kleidung nichts damit zu tun hatte. Das lange, knochige Gesicht und die humorvollen blauen Augen waren zwar recht attraktiv, aber die meiste Zeit sah er so elend und hohlwangig aus, daß ich mich fragte, ob er etwa krank sei.
Oft entdeckte ich Diana Brompton in dem Strom der Besucherinnen, und ich mußte jedesmal gegen den Impuls ankämpfen, unter das Sofa zu kriechen. Wenn sie verzückt zu Siegfried aufsah, an seinen Lippen hing und wie ein Schulmädchen kicherte, erschien es kaum glaubhaft, daß sie mit jener unnahbaren Schönheit von damals identisch war.
Mir wurde ganz anders bei dem Gedanken, Siegfried könnte sie heiraten. Wirklich, das bereitete mir schwere Sorgen, denn mir war klar, daß ich dann meinen Hut nehmen müßte, gerade zu jener Zeit, da ich Gefallen an dem Leben in Darrowby zu finden begann.
Aber Siegfried machte keine Anstalten, Diana Brompton oder irgendeine andere zu heiraten, und so ging die Prozession hoffnungsvoll weiter. Schließlich gewöhnte ich mich daran und beunruhigte mich nicht mehr.
Ich gewöhnte mich auch an die Neigung meines Chefs zu krassem Meinungsumschwung. Eines Morgens kam Siegfried zum Frühstück herunter und rieb sich müde die rot geränderten Augen.
»Um vier Uhr früh raus«, knurrte er und bestrich apathisch seinen Toast mit Butter. »Ich sage es Ihnen nicht gern, James, aber das ist einzig und allein Ihre Schuld.«
»Meine Schuld?« wiederholte ich überrascht.
»Ja, mein Junge. Es handelte sich um eine Kuh mit einem leicht eingeklemmten Pansen. Der Bauer hatte schon ein paar Tage an ihr herumgepfuscht, hatte es mit Leinöl versucht, mit Bikarbonat und Ingwer, und heute nacht um vier stellte er fest, daß es Zeit sei, den Tierarzt zu rufen. Als ich meinte, nun hätte er auch noch ein paar Stunden länger warten können, erwiderte er, Mr. Herriot habe ihm gesagt, er könne zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen, wenn er Hilfe brauche.« Er köpfte sein Ei mit einer so müden Bewegung, als fehle ihm selbst dafür die Kraft. »Natürlich ist es gut, gewissenhaft zu sein, aber wenn ein Bauer tagelang wartet, bevor er uns ruft, dann kann er auch noch bis zum Morgen warten. Sie verwöhnen diese Burschen, James. Ich habe es satt, wegen solcher Lappalien aus dem Bett
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