Der Doktor und das liebe Vieh
dem langen Anbau des Hauses, wo die Glyzinien ihre Ranken und welken Blüten bis in die Zimmer hineinschoben. Dann am Steingarten vorbei; und an dem Rasenplatz, der zerzaust und vergessen aussah, aber dem trockenen Backstein Kühle spendete. An seinen Rändern leuchteten Blumen in verschwenderischer Fülle und kämpften gegen einen Dschungel von Unkraut. Es folgten der Rosengarten und ein Spargelbeet, dessen fleischige Stengel zu üppigen Wedeln emporgeschossen waren. Weiter hinten wuchsen Erdbeeren und Himbeeren. Überall standen Obstbäume, deren Zweige den Weg überschatteten. Pfirsiche, Birnen, Kirschen und Pflaumen kämpften am Spalier der Südmauer mit den wilden Kletterrosen um einen Platz.
Zwischen den Blumen flogen Bienen hin und her; die Lieder der Amseln und Drosseln wetteiferten mit dem Krächzen der Krähen hoch oben in den Ulmen.
Mein Leben war ausgefüllt. Da waren so viele Dinge, die es herauszufinden galt, und so vieles, was ich mir beweisen mußte. Die Tage flogen dahin; sie waren voller Herausforderung und bedrängten mich mit all dem Neuen. Nur hier im Garten schien die Zeit schon seit langem stillzustehen. Ich blickte zurück, bevor ich den Hof betrat, und es war, als stieße ich in einem Buch auf ein Bild: der leere, wilde Garten und dahinter das große, schweigende Haus. Ich konnte nie ganz glauben, daß es da war und ich nun dazugehörte.
Und dieses Gefühl verstärkte sich noch, wenn ich auf den Hof kam. Er war viereckig und mit Kopfsteinen gepflastert, zwischen denen das Gras in dichten Büscheln wuchs. Rechts und links standen Gebäude: zwei Garagen, die einstmals die Kutschen beherbergt hatten, ein Stall und eine Sattelkammer, eine Pferdebox und ein Schweinestall. Über einem steinernen Wassertrog hing eine verrostete eiserne Pumpe.
Der Stall hatte einen Heuboden, und auf dem Dach der einen Garage befand sich ein Taubenschlag. Und dann war da noch der alte Boardman. Auch er schien ein Überbleibsel aus besseren Tagen zu sein, humpelte mit seinem lahmen Bein umher und tat nichts Besonderes.
Wenn ich kam, brummte er ein »Guten Morgen« aus seinem Bretterverschlag, in dem er ein paar Werkzeuge und Gartengeräte aufbewahrte. An der Wand hingen seine Kriegserinnerungen; eine Reihe Farbdrucke nach Illustrationen von Bruce Bairnsfather. Er hatte sie dort angeheftet, als er 1918 aus dem Krieg heimkehrte, und da hingen sie nun immer noch, staubig, an den Rändern umgebogen, und erzählten ihm von Kaiser Wilhelm, den Granatlöchern und den schlammigen Schützengräben.
Boardman wusch manchmal ein Auto oder arbeitete ein bißchen im Garten, aber ihm genügte es, wenn er ein oder zwei Pfund verdiente und dann auf den Hof zurückkehren konnte. Er verbrachte viele Stunden in der Sattelkammer, wo er einfach dasaß, mitunter einen Blick auf die leeren Haken warf, an denen früher die Pferdegeschirre gehangen hatten, und dann seine Faust gegen die Handfläche rieb.
Er erzählte mir oft von den großen Zeiten. »Ich sehe den alten Doktor noch vor mir, wie er auf der obersten Treppenstufe stand und auf seinen Wagen wartete. Ein großer, gut aussehender Mann war er. Trug immer Gehrock und Zylinder. Ich war damals ein junger Bursche, und ich erinnere mich noch gut, wie er da stand, seine Handschuhe anzog und den Hut ein bißchen schräger rückte.«
Boardmans Züge schienen weicher zu werden, und ein Leuchten trat in seine Augen, als spräche er mehr zu sich selbst als zu mir. »Das alte Haus war anders damals. Sie hatten eine Wirtschafterin und sechs Dienstmädchen. Und einen Gärtner. Der Rasen war tadellos gepflegt, die Blumen standen in Reih und Glied, und die Bäume waren sauber beschnitten. Und dieser Hof – das war der Lieblingsplatz vom alten Doktor. Manchmal kam er und sah mir zu, wenn ich hier saß und das Pferdegeschirr putzte. Er war ein richtiger Gentleman, aber man konnte ihm nichts vormachen. Ein Stäubchen irgendwo, und er wurde fast verrückt. Aber mit dem Krieg ging das alles zu Ende. Jeder hat’s jetzt eilig. Sie kümmern sich um gar nichts mehr. Haben keine Zeit, überhaupt keine Zeit.«
Der Alte starrte wie ungläubig auf das grasüberwucherte Kopfsteinpflaster, auf die abgeblätterte Garagentür, die schief in den Angeln hing, auf den leeren Stall und die Pumpe, aus der kein Wasser mehr floß.
Er war immer freundlich zu mir, auf eine abwesende Art, aber wenn er Siegfried sah, verwandelte er sich sofort in den Boardman früherer Tage, nahm Haltung an, sagte »sehr wohl, Sir«
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