Der Doktor und das liebe Vieh
die Spritze und sagte das, was ich immer sagte: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, er wird überhaupt nichts merken. Dies ist lediglich die Überdosis eines Betäubungsmittels. Es ist wirklich ein schmerzloser Tod.«
Der Hund rührte sich nicht, als ich die Nadel einführte. Während das Barbiturat in die Vene floß, wich die Angst aus seinen Augen, und die Muskeln begannen sich zu entspannen. Als die Injektion beendet war, hatte die Atmung aufgehört.
»Ist das alles?« fragte Mr. Dean heiser.
»Ja, das ist alles«, antwortete ich. »Er hat jetzt keine Schmerzen mehr.«
Der alte Mann stand regungslos da, nur seine Hände krampften sich immer wieder ineinander. Als er sich schließlich mir zuwandte, leuchteten seine Augen. »Sie haben recht, wir konnten ihn nicht so leiden lassen, und ich bin dankbar für das, was Sie getan haben. Und was bin ich Ihnen schuldig, Sir?«
»Ach, das ist schon in Ordnung, Mr. Dean«, sagte ich hastig. »Dafür nehme ich nichts. Ich kam sowieso hier vorbei.«
Der alte Mann sah mich erstaunt an. »Aber Sie können das doch nicht umsonst tun.«
»Lassen Sie’s gut sein, Mr. Dean, bitte. Wie ich schon sagte, ich kam sowieso hier vorbei.« Ich verabschiedete mich, verließ das Haus und ging durch den Torweg auf die Straße. Im Gedränge der Leute und in dem hellen Sonnenlicht sah ich immer nur das ärmliche kleine Zimmer, den alten Mann und seinen toten Hund.
Als ich zu meinem Wagen ging, hörte ich hinter mir jemand rufen. Der alte Mann kam in seinen Pantoffeln aufgeregt angeschlurft. Auf seinen Wangen waren Tränenspuren zu sehen, aber er lächelte.
»Sie waren sehr freundlich, Sir. Ich habe hier etwas für Sie.« Er hielt mir einen kleinen braunen Gegenstand hin, der arg mitgenommen, aber noch immer erkennbar war: ein kostbares Überbleibsel von einem längst vergangenen Fest.
»Hier«, sagte der alte Mann, »darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?«
Kapitel 9
Als der Herbst in den Winter überging und auf den hohen Berggipfeln die ersten Schneestreifen erschienen, entdeckte ich, was für Beschwerlichkeiten eine Praxis in den Dales mit sich brachte. Man mußte stundenlang mit eiskalten Füßen und in schneidendem Wind fahren, um zu den hoch gelegenen Höfen zu gelangen. Dazu das ständige Sichauskleiden in zugigen Ställen, das Waschen in kaltem Wasser, mit Scheuerseife und oft einem Stück Sack als Handtuch. Ich merkte jetzt erst so richtig, was es heißt, aufgesprungene Hände zu haben. Wenn viel zu tun war, wurden meine Hände nie richtig trocken, und die kleinen roten Risse zogen sich fast bis zu den Ellenbogen hinauf.
In solchen Zeiten war es ein Segen, wenn man zu einem Kleintier gerufen wurde, für eine Weile der rauhen, harten Routinearbeit entrinnen und sich statt dessen in einem warmen Wohnzimmer aufhalten konnte. Und von all den gemütlichen Wohnzimmern war keines so verlockend wie der Salon von Mrs. Pumphrey.
Mrs. Pumphrey war eine ältliche Witwe. Ihr verstorbener Mann, ein Biermagnat, dessen Brauereien und Pubs über ganz Yorkshire verstreut waren, hatte ihr außer einem beachtlichen Vermögen auch ein wunderschönes Haus am Stadtrand von Darrowby hinterlassen. Hier lebte sie mit einer großen Anzahl von Bediensteten, einem Gärtner, einem Chauffeur und Tricki Woo. Tricki Woo war ein Pekinese und der Augapfel seiner Herrin.
Als ich jetzt vor dem prächtigen Portal stand, sah ich in Gedanken bereits den tiefen Sessel dicht neben den züngelnden Flammen des Kamins, die Schale mit den Cocktailplätzchen, die Flasche mit dem ausgezeichneten Sherry. Wegen des Sherrys richtete ich es immer so ein, daß ich eine halbe Stunde vor dem Lunch erschien.
Ein Mädchen öffnete mir die Tür, begrüßte mich mit strahlendem Lächeln und führte mich in den Salon, der vollgestopft war mit teuren Möbeln, herumliegenden Illustrierten und den neuesten Romanen. Mrs. Pumphrey, die in einem hochlehnigen Sessel am Kamin saß, legte ihr Buch mit einem Schrei des Entzückens aus der Hand. »Tricki! Tricki! Onkel Herriot ist da.« Ich war vor kurzem zum Onkel avanciert und hatte, da ich die Vorteile einer solchen Verwandtschaft erkannte, keine Einwände erhoben.
Tricki hüpfte wie stets von seinem Kissen, sprang auf die Sofalehne und legte seine Vorderpfoten auf meine Schulter. Dann leckte er mein Gesicht gründlich ab, bevor er sich erschöpft zurückzog. Er war immer schnell erschöpft, denn er bekam etwa zweimal soviel Futter, wie ein Hund seiner Größe benötigte.
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