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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Falten durchfurchten Gesicht blickten ein Paar fröhliche Augen; er trug eine gestopfte Wolljacke, eine geflickte Hose und Hausschuhe.
    »Ich wollte mal nach Ihrem Hund sehen«, sagte ich, und der alte Mann lächelte.
    »Ich bin froh, daß Sie kommen«, sagte er. »Der alte Bursche macht mir Sorgen.« Er führte mich in ein winziges Wohnzimmer. »Ich lebe allein. Meine Frau ist vor einem Jahr gestorben. Sie hat sehr an dem Hund gehangen.«
    Überall offenbarten sich die erbarmungslosen Zeichen der Armut: in dem abgetretenen Linoleum, dem feuerlosen Kamin, dem feuchtkalten, muffigen Geruch. Die Tapete hing in Fetzen von der Wand, und auf dem Tisch sah ich die bescheidene Abendmahlzeit des alten Mannes: ein Stückchen Speck, ein paar Bratkartoffeln und eine Tasse Tee.
    Auf einer Decke lag mein Patient, ein nicht rassereiner Neufundländer. Er mußte seinerzeit ein großer, kräftiger Hund gewesen sein, aber die Spuren des Alters zeigten sich in den weißen Haaren rund um die Schnauze und in den fahlen, trüben Augen. Er sah mich ohne Feindseligkeit an.
    »Er ist nicht mehr der jüngste, stimmt’s, Mr. Dean?«
    »Allerdings. Fast vierzehn, aber bis vor ein paar Wochen ist er noch wie ein junger Hund herumgaloppiert. Ein prächtiges Tier für sein Alter, mein guter Bob, und er hat nie in seinem Leben jemand gebissen. Die Kinder können alles mit ihm machen. Er ist jetzt mein einziger Freund – ich hoffe, Sie machen ihn bald wieder gesund.«
    »Frißt er, Mr. Dean?«
    »Nein, gar nichts, und das ist seltsam, denn er konnte ganz schön was verdrücken. Er saß bei den Mahlzeiten immer neben mir und legte den Kopf auf meine Knie, aber in letzter Zeit hat er das nicht mehr getan.«
    Ich betrachtete den Hund mit wachsendem Unbehagen. Der Bauch war geschwollen, ich konnte die verräterischen Schmerzsymptome erkennen: das stoßweise Atmen, die verkniffene Linie der Lefzen, der ängstliche Ausdruck in den Augen.
    Als sein Herr sprach, schlug der Hund zweimal mit dem Schwanz auf die Wolldecke, und in den weißlichen Augen glomm ein flüchtiges Interesse auf, das aber sogleich wieder dem leeren, nach innen gewandten Blick wich.
    Ich befühlte vorsichtig den Bauch des Hundes. Eine ausgeprägte Bauchwassersucht, und die gestaute Flüssigkeit erzeugte nun einen starken Druck. »Komm, alter Bursche«, sagte ich. »Laß dich mal auf die Seite rollen.« Der Hund leistete keinen Widerstand, als ich ihn langsam auf die andere Seite drehte, dann aber winselte er und sah sich um. Ich betastete ihn ganz sanft. Durch den dünnen Muskel an der Flanke konnte ich eine harte, gewellte Masse fühlen, zweifellos ein Milz- oder Leberkarzinom, riesengroß und völlig inoperabel. Ich streichelte den Kopf des alten Hundes, während ich mich zu konzentrieren suchte. Dies war kein leichter Fall.
    »Wird er lange krank sein?« fragte der alte Mann, und wieder klopfte der Schwanz beim Klang der geliebten Stimme. »Es ist so traurig, wenn Bob mir nicht nachläuft, während ich hier herumwirtschafte.«
    »Tut mir leid, Mr. Dean, aber die Sache ist sehr ernst. Sehen Sie hier die große Schwellung? Sie wird von einem Tumor verursacht.«
    »Sie meinen... Krebs?« fragte der kleine Mann leise.
    »Ich fürchte, ja, und zwar in einem Stadium, in dem nichts mehr zu machen ist. Ich wünschte, ich könnte Ihrem Bob helfen, aber es ist hoffnungslos.«
    Der alte Mann sah völlig verwirrt aus, und seine Lippen zitterten. »Dann muß er also sterben?«
    Ich schluckte. »Ja, aber wir können ihn nicht einfach sich selbst überlassen, meinen Sie nicht auch? Er hat jetzt schon Schmerzen, und bald werden sie unerträglich sein. Wäre es nicht das beste, ihn einzuschläfern? Schließlich hat er ein schönes, langes Leben gehabt.« Ich bemühte mich in solchen Fällen immer, einen Ton munterer Sachlichkeit anzuschlagen, aber diesmal klangen die alten Klischees leer.
    Der alte Mann schwieg. Dann sagte er: »Einen Augenblick bitte«, und kniete sich mühsam neben dem Hund nieder. Wortlos strich er immer wieder über die graue Schnauze und die Ohren, während der Schwanz des Hundes auf den Boden klopfte.
    Lange kniete er so, und ich stand derweil in dem freudlosen Raum, ließ meinen Blick über die verblichenen Bilder an den Wänden, über die ausgefransten, schmutzigen Vorhänge und den schadhaften Lehnstuhl wandern.
    Schließlich stand der alte Mann schwerfällig auf und schluckte ein paarmal. Ohne mich anzusehen, murmelte er: »Gut, wollen Sie es jetzt tun?«
    Ich füllte

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