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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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heiseres Krächzen, das ich mit Mühe und Not als meine eigene Stimme erkannte. »Kann ich Sie irgendwann sehen?«
    Sie antwortete nicht gleich, und ich versuchte in ihrem Gesicht zu lesen. War sie überrascht, ärgerlich oder gar schockiert? Sie errötete und sagte: »Wenn Sie wollen.« Wieder hörte ich das Krächzen. »Samstagabend?« Sie nickte, trocknete die Tasse ab, und fort war sie.
    Als ich zu meinem Platz ging, pochte mein Herz wie ein Hammer. Ich merkte nichts mehr von den Bemühungen des Quartetts, Haydn zu verstümmeln. Endlich hatte ich es also geschafft. Aber wollte sie auch wirklich kommen? Oder hatte ich sie nur überrumpelt? Meine Zehen krümmten sich vor Verlegenheit bei diesem Gedanken, aber ich tröstete mich in dem Bewußtsein, daß ich auf jeden Fall einen Schritt weitergekommen war. Ja, ich hatte es endlich geschafft.

Kapitel 24
     
    Beim Frühstück beobachtete ich, wie sich der Herbstdunst in dem morgendlichen Sonnenschein auflöste. Es würde wieder ein schöner Tag werden, und doch wehte ein kühler Hauch durch das alte Haus, ein Frösteln, als berühre uns eine kalte Hand und erinnere daran, daß der Sommer vorbei war und die harten Monate bevorstanden.
    Siegfried lehnte die Darrowby and Houlton Times sorgfältig gegen die Kaffeekanne. »Hier steht, daß Bauern nichts für ihre Tiere empfinden.«
    Ich bestrich ein Stück Toast mit Butter und sah zu ihm hinüber. »Soll das heißen, daß sie grausam gegen ihre Tiere sind?«
    »Nicht gerade grausam, aber dieser Bursche behauptet, für einen Bauern sei das Vieh etwas rein Kommerzielles und er bringe seinen Tieren kein Gefühl, keine Zuneigung entgegen.«
    »Na ja, wenn sie alle so wären wie Kit Bilton, würden sie doch samt und sonders durchdrehen.«
    Kit Bilton war ein LKW-Fahrer, der wie viele Arbeiter in Darrowby alljährlich sein Schwein für den Eigenbedarf mästete. Die Sache hatte nur einen Haken: Wenn Kit das Schwein schlachten mußte, weinte er drei Tage lang.
    »Da haben Sie recht.« Siegfried beugte sich vor und säbelte von Mrs. Halls selbstgebackenem Brot eine Scheibe ab. »Aber Kit ist kein richtiger Bauer. Dieser Artikel handelt von Leuten, die eine Menge Vieh besitzen. Die Frage lautet: Ist es diesen Männern möglich, sich gefühlsmäßig zu engagieren? Kann der Bauer, der fünfzig Kühe oder mehr melkt, eine dieser Kühe wirklich gern haben, oder sind es einfach milchproduzierende Gegenstände?«
    »Ein interessantes Thema«, sagte ich. »Und ich glaube, es kommt in der Tat auf die Anzahl der Tiere an Hier im Hochland gibt es viele Bauern, die nur ein paar Kühe haben, und denen geben sie immer Namen – Daisy, Mabel, und neulich wurde ich sogar zu einer gerufen, die Kipperlugs hieß. Ich glaube unbedingt, daß diese Kleinbauern mit Liebe an ihren Tieren hängen, aber ich bezweifle, daß die Großbauern so etwas empfinden können.«
    Siegfried stand vom Tisch auf und reckte sich behaglich. »Sie haben vermutlich recht. Vielleicht finden Sie es heute heraus, denn ich schicke Sie zu einem von diesen Großbauern. John Skipton in Dennaby Close – da müssen ein paar Zähne abgefeilt werden. Bei zwei alten Pferden in ziemlich mickeriger Verfassung. Am besten nehmen Sie alle Instrumente mit, wer weiß, was sich da noch ergibt.«
    Ich ging in den kleinen Raum am Ende des Ganges und inspizierte die Zahninstrumente. Ich fühlte mich immer in mittelalterliche Zeiten zurückversetzt, wenn ich die Zähne von Großtieren behandeln mußte, aber in den Tagen des Zugpferdes gehörte so etwas zu den tierärztlichen Pflichten.
    Voller Abscheu betrachtete ich die Instrumente: die mehr als zwei Fuß lange, gefährlich aussehende Zahnzange, die scharfe Schere, die Mundknebel, die Hämmer und Meißel, die Feilen und Raspeln – es war eine Art Musterkollektion für Folterknechte. Wir transportierten die Instrumente in einem Holzkasten mit Griff, und so schleppte ich die hübsche Sammlung zum Wagen.
    Dennaby Close war nicht nur ein stattlicher Bauernhof, sondern auch ein Beweis dafür, was die Ausdauer und das Können eines Mannes vermögen. Das hübsche alte Haus, die großzügig gebauten Ställe und Scheunen, die weiten Flächen saftigen Graslands auf den unteren Hängen des Fell, alles war ein Beweis dafür, daß der alte John Skipton etwas nahezu Unmögliches vollbracht hatte: Er war vom einfachen Landarbeiter zum reichen Großgrundbesitzer aufgestiegen.
    Dieses Wunder war nur durch unendliche Mühe und Arbeit möglich gewesen. Der alte

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