Der Doktor und das liebe Vieh
die Aktivität der Leute aus den Dales oft bewundert, aber jetzt verfluchte ich diese Eigenschaften. So kam es, daß ich dem Musikverein beigetreten war. Ich hatte gesehen, wie Helen in das Schulgebäude ging – dort fanden die Zusammenkünfte statt –, und mit dem Mut der Verzweiflung war ich ihr gefolgt.
Das lag nun schon Wochen zurück, und noch immer war ich keinen Schritt weitergekommen. Ich konnte mich nicht erinnern, wie viele Tenöre, Soprane und Männerchöre aufgetreten waren, und einmal hatte sogar die Blaskapelle von Darrowby, in dem kleinen Klassenraum zusammengedrängt, mein Trommelfell beinahe zum Platzen gebracht; aber mehr war nicht geschehen.
An diesem Abend kratzte ein Streichquartett eifrig drauflos, doch ich hörte kaum hin. Meine Augen waren wie stets auf Helen gerichtet. Sie saß einige Reihen vor mir zwischen zwei alten Damen, die ihre ständigen Begleiterinnen zu sein schienen. Das machte alles noch schwieriger. Immer waren diese Anhängsel dabei, so daß nicht einmal in der Teepause eine private Unterhaltung zustande kommen konnte. Und dazu noch die allgemeine Atmosphäre: Die meisten Vereinsmitglieder waren ältere Leute, und über allem hing dieser schwere Klassenzimmergeruch von Tinte, Übungsbüchern und Kreide. Es war einfach unmöglich, sie hier zu fragen: »Haben Sie am Sonntag schon etwas vor?«
Das Gefiedel verstummte, und alle klatschten. In der ersten Reihe stand der Vikar auf und sagte strahlend: »Und jetzt, meine Damen und Herren, sollten wir eine Pause von fünfzehn Minuten einlegen, denn ich sehe, daß unsere freundlichen Helfer den Tee zubereitet haben. Der Preis ist wie immer drei Pence.« Die Leute lachten und erhoben sich unter allgemeinem Stühlescharren von ihren Plätzen.
Ich ging mit den anderen zum Büfett im Vorraum, legte mein Dreipencestück auf den Zahlteller und nahm eine Tasse Tee und einen Keks entgegen. Dies war immer der Moment, da ich in der blinden Hoffnung, daß irgend etwas geschehen werde, an Helen heranzukommen suchte. Es war nicht einfach, denn ich wurde oft von dem Schuldirektor und anderen Honoratioren angesprochen, die einen musikliebenden Tierarzt für eine interessante Kuriosität hielten, aber an diesem Abend gelang es mir, mich wie zufällig in Helens Gruppe zu schieben.
Sie sah mich über den Rand ihrer Tasse hinweg an. »Guten Abend, Mr. Herriot, gefällt es Ihnen?« O Gott, das sagte sie immer. Und Mr. Herriot! Aber was konnte ich tun? »Nennen Sie mich Jim«, hätte doch zu intim geklungen. Also antwortete ich wie üblich: »Guten Abend, Miss Alderson. Ja, es ist sehr schön.« Punkt und aus.
Ich knabberte meinen Keks, während sich die alten Damen über Mozart unterhielten. Jeden Dienstagabend das gleiche. Es wurde Zeit, die ganze Sache aufzugeben. Ich fühlte mich geschlagen.
Aber da näherte sich, noch immer strahlend, der Vikar unserer Gruppe. »Leider, leider muß ich jemanden bitten, den Abwasch zu machen. Vielleicht würden unsere beiden jungen Freunde das heute abend übernehmen.« Sein freundlicher Blick glitt von Helen zu mir und zurück.
Teetassen abzuwaschen hatte mich nie gereizt, aber plötzlich war mir, als erblickte ich das gelobte Land. »Ja, gern, mit Vergnügen – das heißt, wenn es Miss Alderson recht ist.«
Helen lächelte. »Natürlich ist es mir recht. Jeder muß ja mal drankommen, nicht wahr?«
Ich rollte den Teewagen mit den Tassen und Untertassen in die Küche. Es war ein kleiner, schmaler Raum mit einem Spülbecken und ein paar Regalen, der gerade noch Platz für uns zwei bot.
»Möchten Sie lieber abwaschen oder abtrocknen?« fragte Helen.
»Abwaschen«, sagte ich und ließ warmes Wasser in das Becken laufen. Jetzt konnte es eigentlich nicht mehr schwierig sein, dem Gespräch jene Wendung zu geben, die ich anstrebte. Nie würde sich mir eine bessere Chance bieten als in diesem kleinen Raum.
Aber es war unheimlich, wie rasch die Zeit verging. Schon fünf Minuten, und wir hatten nur über Musik gesprochen. Mit wachsender Unruhe sah ich, daß wir uns durch den Stapel Geschirr fast hindurchgearbeitet hatten und ich immer noch nicht weitergekommen war. Die Unruhe steigerte sich zu panischer Angst, als ich die letzte Tasse aus dem Wasser fischte.
Jetzt oder nie. Ich hielt Helen die Tasse hin, und sie wollte sie mir abnehmen, aber ich ließ den Henkel nicht los. Sie zog sanft; ich gab nicht nach, denn ich wartete auf eine Inspiration. So entwickelte sich eine Art Tauziehen. Plötzlich hörte ich ein
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