Der Doktor und das liebe Vieh
muß einen Monat lang draufbleiben. Rufen Sie mich dann bitte an, damit ich heraufkomme und den Verband abnehme. Behalten Sie das Tier im Auge und achten Sie darauf, daß sich das Bein an der Bandagenkante nicht wund reibt.«
Als wir die Scheune verließen, überspülten uns das Sonnenlicht und die süße warme Luft wie eine Welle. »Es ist wunderschön hier oben«, sagte ich. »Sehen Sie nur die Schlucht da drüben. Und dieser große Hügel – ich glaube, man kann ihn schon einen Berg nennen.« Ich deutete auf einen Riesen, dessen mit Heidekraut bewachsenen Schultern weit über die anderen Berge hinausragten.
»Das ist Heskit Fell – fast zweieinhalbtausend Fuß hoch. Und dahinter ist Eddleton – und auf der anderen Seite Wedder Fell und Colver und Sennor.« Die Namen mit ihrem nordischen Klang gingen ihr leicht von den Lippen; es war, als spräche sie von alten Freunden.
Wir setzten uns am Hang in das warme Gras, eine sanfte Brise bewegte die Köpfe der Blumen, irgendwo rief ein Brachvogel. Darrowby, Skeldale House und die Praxis waren unendlich weit weg.
»Sie haben Glück, hier zu leben«, meinte ich. »Aber das brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen.«
»Nein. Ich liebe dieses Land. Für mich gibt es keine schönere Gegend.« Sie blickte in die Runde. »Ich freue mich, daß es Ihnen gefällt – viele Leute finden es zu öde und wild. Es scheint Ihnen Angst einzuflößen.«
Ich lachte. »Ja, ich weiß, aber was mich betrifft, so kann ich nur all die Tausende von Tierärzten bedauern, die nicht in den Yorkshire Dales arbeiten.«
Ich begann von meiner Arbeit zu erzählen, dann von meiner Studentenzeit, von den Freunden, die ich gefunden hatte, von unseren Hoffnungen und Wünschen.
Mein Redefluß wunderte mich – im allgemeinen war ich alles andere als geschwätzig –, und ich fürchtete, ich würde sie langweilen. Aber sie saß ganz still und blickte über das Tal. Die Arme hatte sie um die Beine geschlungen, und von Zeit zu Zeit nickte sie verständnisvoll. Und sie lauschte an den richtigen Stellen.
Ich wunderte mich auch, weil ich am liebsten all meine Pflichten vergessen hätte und hier oben auf der sonnigen Höhe geblieben wäre. Dann fiel mir ein, daß es schon lange her war, seit ich zuletzt müßig dagesessen und mit einem Mädchen meines Alters gesprochen hatte.
Bei unserem Abstieg und auf dem Weg durch den duftenden Tannenwald beeilte ich mich gar nicht, und doch schien mir, daß wir im Handumdrehen wieder auf der hölzernen Brücke waren und über das Feld zum Gehöft gingen.
Schon im Begriff, in den Wagen zu steigen, drehte ich mich noch einmal um. »Also, ich sehe Sie in einem Monat.« Es hörte sich furchtbar lange an.
Das Mädchen lächelte. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.« Als ich anfuhr, winkte sie und ging ins Haus.
»Helen Alderson?« sagte Siegfried später beim Essen. »Natürlich kenne ich sie. Ein sehr hübsches Mädchen.«
Tristan begnügte sich damit, Messer und Gabel aus der Hand zu legen, den Blick schwärmerisch zur Decke zu heben und einen langen, leisen Pfiff auszustoßen. Dann aß er weiter.
»O ja«, fuhr Siegfried fort, »ich kenne sie sehr gut. Und ich bewundere sie. Seit ihre Mutter vor ein paar Jahren gestorben ist, wirtschaftet sie ganz allein. Kocht, sorgt für ihren Vater und die jüngeren Geschwister.« Er nahm sich noch etwas Kartoffelbrei. »Ob sie Freunde hat? Die Hälfte aller jungen Burschen in der Gegend laufen ihr nach, aber einen festen Freund scheint sie nicht zu haben. Ziemlich wählerisch, würde ich sagen.«
Kapitel 23
Von nun an verbrachte ich jeden Dienstagabend damit, im Musikverein von Darrowby auf Helen Aldersons Hinterkopf zu starren. Es war eine langsame Methode, sie näher kennenzulernen, aber mir war nichts Besseres eingefallen.
Seitdem ich oben im Hochmoor gewesen war, um das Bein des Kälbchens in Gips zu legen, hatte ich regelmäßig den Terminkalender überflogen, in der Hoffnung, daß meine Hilfe auf dem Hof wieder einmal benötigt würde. Aber die Aldersons schienen beklagenswert gesundes Vieh zu besitzen. Ich konnte mich nur mit dem Gedanken trösten, daß ich ja am Ende des Monats hinauf mußte, um den Gipsverband abzunehmen. Aber dann kam ein vernichtender Schlag: Helens Vater rief an und teilte mir mit, er habe, da das Kalb wieder gesund sei, den Verband selbst abgenommen. Er freue sich, sagen zu können, daß der Bruch sehr gut verheilt und keine Lahmheit zurückgeblieben sei.
Ich hatte das Selbstvertrauen und
Weitere Kostenlose Bücher