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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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John hatte ein hartes Leben hinter sich, das die meisten Männer umgebracht hätte, ein Leben, in dem kein Platz war für eine Frau, eine Familie oder ein wenig Müßiggang. Aber nicht mit Arbeit allein hatte er es geschafft. Er besaß einen erstaunlichen Scharfsinn in landwirtschaftlichen Dingen, und dadurch hatte der alte Mann in der ganzen Gegend einen geradezu legendären Ruhm erlangt. »Wenn alle die eine Straße fahren, wähle ich die andere« – das war einer seiner vielzitierten Aussprüche, und die Skipton-Höfe hatten in den schlechten Zeiten, als andere Bauern bankrott gingen, tatsächlich Geld eingebracht. Dennaby war nur einer von Johns Höfen, er hatte weiter unten im Dale noch zwei andere Besitzungen mit je vierhundert Morgen Ackerland.
    Er hatte gesiegt, aber manche Leute meinten, eigentlich sei er der Besiegte. Nachdem er sich all die Jahre derartig abgerackert hatte, konnte er nun nicht mehr aufhören. Sein Reichtum gestattete ihm, sich jeden Luxus zu leisten, aber er hatte dazu einfach keine Zeit; man sagte, die ärmsten seiner Arbeiter lebten besser als er.
    Ich blieb stehen, als ich aus dem Wagen gestiegen war, und betrachtete das Haus, als sähe ich es zum erstenmal. Wieder staunte ich, mit welcher Anmut und Würde es dreihundert Jahre lang dem rauhen Klima die Stirn geboten hatte. Die Leute kamen von weit her nach Dennaby Close, um das schöne Herrenhaus mit seinen großen bleigefaßten Fenstern, den moosbewachsenen alten Dachziegeln und den gedrungenen Schornsteinen zu fotografieren. Sie wanderten auch durch den vernachlässigten Garten und erklommen die weit geschwungene Freitreppe, die zum Eingangsportal mit dem mächtigen Steinbogen über der großen Tür führte.
    Aus einem dieser Fenster hätte eine schöne Frau in alter Tracht schauen müssen, um einem Kavalier mit Rüschen und Kniehose zu winken, der unter der hohen Mauer mit ihren spitzen Kappen einherstolzierte. Aber da war nur der alte John, der mir ungeduldig entgegenstapfte. Seine abgetragene, knopflose Jacke wurde durch einen um den Leib geschlungenen Strick zusammengehalten.
    »Kommen Sie einen Moment herein, junger Mann«, rief er. »Ich muß Ihnen noch eine Rechnung bezahlen.« Er führte mich zur Rückseite des Hauses. Durch eine mit Steinplatten ausgelegte Küche gelangten wir in ein geräumiges Zimmer, das nur mit einem Tisch, ein paar Holzstühlen und einem uralten Sofa möbliert war.
    John Skipton ging zum Kamin und zog hinter der Uhr auf dem Sims einen Stoß Papiere hervor. Er blätterte sie durch, warf einen Umschlag auf den Tisch, brachte dann ein Scheckbuch zum Vorschein und knallte es vor mir auf den Tisch. Ich tat das Übliche – nahm die Rechnung aus dem Umschlag, schrieb den Betrag auf das Scheckformular und schob es ihm zur Unterschrift hin. Er malte seinen Namenszug sorgfältig und konzentriert, das schmale, wettergegerbte Gesicht so weit vorgeneigt, daß der Schirm der alten Tuchmütze beinahe die Feder berührte.
    Als ich den Scheck eingesteckt hatte, sprang John auf. »Wir müssen zum Fluß runter, die Pferde sind da unten.« Er verließ das Haus beinahe im Laufschritt.
    Ich wuchtete den Instrumentenkasten aus dem Kofferraum des Wagens. Es war komisch, aber immer wenn ich schwer zu tragen hatte, waren meine Patienten weit weg. Der Kasten schien mit Blei gefüllt zu sein, und auf dem Weg über die mit Mauern umfriedeten Weiden würde er auch nicht leichter werden.
    Der alte John ergriff eine Heugabel, spießte einen Ballen Heu auf und lud sich die Last mühelos auf die Schulter. Dann setzte er mit unverminderter Geschwindigkeit seinen Weg fort. Wir gingen von einem Gatter zum anderen, oft quer über die Felder. Auf halber Höhe kamen wir an einer Gruppe von Männern vorbei, die einen Riß in einer der trockenen Steinmauern reparierten. Einer der Männer sah auf. »Schöner Morgen heute, Mr. Skipton«, rief er fröhlich.
    »Zum Teufel mit dem Morgen. Arbeite lieber etwas schneller«, brummte der alte John, und der Mann lächelte zufrieden, als hätte ihm der Bauer ein Kompliment gemacht.
    Ich war froh, als wir das flache Land erreichten. Meine Arme schienen um einige Zoll länger geworden zu sein, und der Schweiß lief mir über die Stirn. Der alte John wirkte unverändert frisch und munter; er hob die Heugabel von seiner Schulter und ließ den Ballen schwungvoll ins Gras klatschen.
    Bei dem Geräusch drehten sich die beiden Pferde zu uns um. Sie standen bis zu den Fesseln in dem seichten Wasser, dicht an

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