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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Und dann gab er mit einer jähen Bewegung beider Hände den Einsatz. Rossini. Oder vielleicht auch Wagner, dachte ich, als ich sah, wie er den Kopf hin und her warf, wie er mit einer schwungvollen Bewegung der geballten Faust die Geigen hell erklingen ließ und mit funkelndem Blick und bebender, weit ausgestreckter Hand die Trompeten anfeuerte.
    Und dann, wie immer ungefähr in der Mitte des Stückes, kam der Anfall. Gebannt beobachtete ich, wie es in seinem Gesicht zu zucken begann und wie seine Lippen sich verzerrten. Die Bewegungen seiner Arme wurden immer fahriger, und schließlich wurde der ganze Körper von übermächtigen Krämpfen geschüttelt. Ich wußte, das Ende war nahe. Seine Augen rollten, das Haar hing ihm wirr ins Gesicht, und die Musik, die er nicht mehr in der Gewalt hatte, umwogte ihn wie ein tosendes Meer. Plötzlich wurde er ganz steif, die Arme fielen ihm herab, und er schlug zu Boden.
    Ich applaudierte und lachte mit den beiden Mädchen, doch dann bemerkte ich, daß Tristan noch immer starr dalag. Ich beugte mich über ihn und stellte fest, daß er mit dem Kopf gegen das eine Bein der Sitzbank geschlagen und fast bewußtlos war. Die beiden Krankenschwestern sprangen auf. Brenda stützte fachmännisch Tristans Kopf, und Connie holte eine Schüssel mit heißem Wasser und ein Tuch und betupfte damit die kleine Beule über seinem Ohr. Mr. Peacock fragte ängstlich aus dem Hintergrund: »Ist alles in Ordnung? Kann ich etwas tun?«
    Tristan schlug die Augen auf und verlangte nach seinem Bier. Er war noch sehr blaß. Er nippte an seinem Glas. »Ich bin gleich wieder in Ordnung. Wir trinken noch eine Runde, Mr. Peacock, und dann müssen wir aufbrechen.«
    Der Wirt eilte in den Keller und kam mit dem frischgefüllten Emaillekrug wieder herauf. Das Bier wirkte Wunder: beim letzten Glas erwachte Tristan wieder zum Leben und sprang auf. Wir schüttelten Mr. Peacock die Hand und verabschiedeten uns. Dann tasteten wir uns durch die Dunkelheit die steile Straße zum Institut hinauf. Schon von draußen hörten wir Musik und ein dröhnendes rhythmisches Gestampfe.
    Ein freundlicher junger Bauer kassierte das Eintrittsgeld. Dann traten wir in die Halle und gerieten sogleich in den Strudel der Tanzenden. Der Raum war brechend voll: junge Männer in steif aussehenden dunklen Anzügen und junge Mädchen in hellen Kleidern. Schwitzend und glücklich wirbelten sie zu der Musik im Kreis herum.
    Auf dem niedrigen Podium am einen Ende des Saales spielten vier Musiker, was das Zeug hielt – Klavier, Akkordeon, Geige und Schlagzeug. Am anderen Ende standen ein paar Matronen hinter einem langen Tisch und wachten über die dick mit Schinken und Sülze belegten Brote, die selbstgebackenen Kuchen und die Krüge mit Milch.
    Ringsherum an den Wänden drängten sich junge Burschen und hielten Ausschau nach Mädchen ohne festen Begleiter. Ich erkannte unter ihnen einen jungen Klienten. »Wie nennen Sie diesen Tanz?« schrie ich ihm durch das Getöse zu.
    »Das ist der Eva-Walzer«, rief er zurück.
    Ich kannte diesen Tanz nicht, stürzte mich aber zuversichtlich mit Connie ins Gewühl. Es war ein Tanz mit vielen Drehungen und viel Gestampfe, und wenn die jungen Männer mit ihren schweren Stiefeln auf den Dielenbrettern aufstampften, erdröhnte und erbebte jedesmal die ganze Halle. Es machte mir viel Spaß – ich war groß in Form und wirbelte Connie ausgelassen inmitten des Gedränges im Kreis herum. Ich nahm es kaum wahr, wenn ich andere Leute mit den Schultern anstieß, und ich hatte das Gefühl, als schwebte ich, ohne daß meine Füße je den Boden berührten. Es war herrlich. Ich sagte mir, daß ich noch nie im Leben so glücklich gewesen war.
    Nach einem halben Dutzend Tänzen überkam mich ein wilder Hunger, und ich führte Connie zu dem großen Tisch. Wir verschlangen ein Schinkenbrot und Eierpastete, aßen zum Nachttisch jeder ein Sahnebaiser und stürzten uns wieder ins Gedränge. Mitten in einem Walzer fühlte ich plötzlich meine Füße wieder auf dem Boden – bleischwer und schleppend. Und Connie ging es offenbar ebenso. Sie hing schwer in meinen Armen.
    Sie sah zu mir auf. Ihr Gesicht war kreidebleich. »Mir ist ein bißchen komisch – entschuldigen Sie.« Sie löste sich von mir und steuerte auf den Vorraum zu. Als sie wieder im Saal erschien, war ihr Gesicht nicht mehr weiß: es war grün. Schwankend kam sie auf mich zu. »Ich könnte ein bißchen frische Luft brauchen. Begleiten Sie mich nach draußen?«
    Ich

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