Der Doktor und das liebe Vieh
schienen durchaus zufrieden. Nach einer Weile kam der Wirt ächzend wieder aus dem Keller herauf, einen großen, weiß emaillierten Krug in der Hand, und schenkte uns fachmännisch ein, so daß sich in jedem Glas über dem hellen Bier eine weiße Schaumkrone bildete.
Tristan hob sein Glas und betrachtete es ehrfürchtig. Dann schnupperte er erwartungsvoll daran, nahm ein Schlückchen, das er ein paar Sekunden lang kostend im Mund behielt, schluckte, schmatzte ein paarmal feierlich mit den Lippen, schloß dann die Augen und nahm einen großen Schluck. Als er schließlich die Augen wieder öffnete, war sein Blick verzückt, als hätte er eine wunderschöne Vision gehabt.
»Ein Erlebnis«, hauchte er. »Ein gutes Faßbier muß gepflegt werden, und das erfordert viel Geschick. Aber Sie, Mr. Peacock, sind ein Künstler darin.«
Der Wirt neigte bescheiden den Kopf, und Tristan leerte sein Glas mit einer mühelosen Aufwärtsbewegung des Ellbogens.
Die Mädchen sahen ihm voller Bewunderung zu, doch ich stellte fest, daß sie selbst auch keinerlei Mühe hatten, ihre Gläser zu leeren. Mit einiger Anstrengung bewältigte auch ich mein Maß. Sogleich schenkte uns der Wirt wieder ein.
In Gesellschaft eines Virtuosen wie Tristan war ich stets im Nachteil, aber je mehr ich trank, um so besser konnte ich mithalten. Immer wieder stieg Mr. Peacock mit seinem Krug in den Keller, und als ich schließlich mein achtes Glas trank, wunderte ich mich, daß größere Mengen Flüssigkeit mir je Schwierigkeiten bereitet hatten. Es war doch ganz leicht, es beruhigte und machte das Leben angenehmer. Tristan hatte recht – genau das war es, was ich brauchte.
Zu meiner Verblüffung ging mir jetzt erst auf, daß Connie eines der schönsten Mädchen war, die ich je gesehen hatte. Vor dem Krankenhaus hatte ich sie zwar anziehend gefunden, doch in dem trüben Licht dort hatte ich weder ihre makellose Haut noch die geheimnisvolle grüne Tiefe ihrer Augen bemerkt. Und auch nicht diesen lachenden leuchtenden Mund mit den ebenmäßigen Zähnen und der kleinen rosa Zungenspitze! Ihr Anblick beflügelte mich. Alles, was ich sagte, war geistreich und komisch, meinte ich, und Connie sah mich immerfort über ihr Glas hinweg lachend und voller Bewunderung an. Ich fühlte mich wie ein König.
Plötzlich zupfte mich Tristan am Ärmel. Ich hatte ganz vergessen, daß er und Brenda auch noch da waren, und als ich mich ihm zuwandte, erblickte ich zwar sein Gesicht, doch schwamm es wie ein Ballon in einem leeren Raum: ein rotes gedunsenes Gesicht mit glasigen Augen.
»Möchten Sie vielleicht den verrückten Dirigenten sehen?« fragte der rote Ballon.
Ich war ergriffen. Dieses Angebot war ein weiteres Zeichen selbstloser Freundschaft, denn die Imitation des verrückten Dirigenten war die aufreibendste und mühevollste Nummer in Tristans ganzem Repertoire. Sie erforderte ein ungeheures Maß an Energie, und Tristan war danach jedesmal zu Tode erschöpft. Und er war bereit, mir dieses Opfer zu bringen! Tief gerührt überlegte ich, ob es nicht angebracht war, in Tränen auszubrechen. Doch dann begnügte ich mich damit, Tristans Hand zu pressen.
»Es wäre mir ein Vergnügen, mein Lieber«, sagte ich mit heiserer Stimme. »Und eine Ehre, die ich zu würdigen weiß. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen und Ihnen sagen, daß es in ganz Yorkshire keinen großartigeren Gentleman gibt als Tristan Farnon.«
»Ich fühle mich durch Ihre Worte sehr geehrt«, sagte das große rote Gesicht.
»Ich sage nur die nackte Wahrheit«, antwortete ich mit schwerer Zunge. »Mein armseliges Gestotter reicht nicht, meine hohe Meinung von Ihnen zum Ausdruck zu bringen.«
»Sie sind zu gütig«, sagte Tristan. Er hatte einen Schluckauf.
»Absolut nicht. Es ist ein Privileg, eine hohe Auszeichnung, Sie zu kennen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Tristan und nickte mir feierlich zu. Wir starrten einander tief in die Augen, und der Austausch von Komplimenten wäre wohl noch stundenlang weitergegangen, hätte Brenda uns nicht unterbrochen.
»He, wenn ihr mit euren schönen Reden fertig seid, würde ich gern noch ein Glas trinken.«
Tristan sah sie kalt an. »Gedulde dich. Ich habe etwas vor.« Er erhob sich, reckte die Schultern und schritt würdevoll in die Mitte des Raumes. Als er sich mit entrücktem Ausdruck seinem Publikum zuwandte, ahnte ich, daß uns eine ungewöhnliche Vorstellung erwartete.
Er hob die Arme. Er blickte gebieterisch über das große imaginäre Orchester hin.
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