Der Dorfpfarrer (German Edition)
Schauspiel in all seinem Glanze zum letzten Male zu betrachten?«
Sie zeigte abwechselnd auf den Flecken, dessen gesamte Bevölkerung in diesem Augenblicke auf dem Kirchenplatze vereinigt war, und dann auf die von den letzten Sonnenstrahlen beschienenen schönen Wiesen.
»Ach,« fuhr sie fort, »laßt mich einen Segen Gottes in der seltsamen atmosphärischen Verfassung sehen, der wir die Erhaltung unserer Ernte zu verdanken haben. Um uns herum haben Stürme, Regenfälle, Hagel und Blitz unaufhörlich und erbarmungslos gewütet. Das Volk denkt so, warum sollte ich es nicht nachahmen? Habe ich es doch so sehr nötig, darin ein gutes Vorzeichen für das zu sehen, was meiner harrt, wenn ich die Augen werde geschlossen haben!«
Das Kind stand auf, nahm seiner Mutter Hand und legte sie auf seinen Kopf. Gerührt über solch eine Bewegung voller Beredsamkeit, faßte Véronique ihren Sohn mit einer übernatürlichen Kraft, hob ihn auf, setzte ihn, wie wenn er noch ein Säugling wäre, auf ihren linken Arm, umarmte ihn und sagte zu ihm:
»Siehst du das Land dort, mein Sohn? Vollende, wenn du ein Mann bist, deiner Mutter Werke!«
»Es gibt eine kleine Anzahl starker und bevorzugter Wesen, denen es erlaubt ist, den Tod von Angesicht zu Angesicht zu betrachten, mit ihm einen langen Zweikampf zu kämpfen und dabei einen Mut und eine Geschicklichkeit zu entfalten, die Bewunderung erregen; Sie bieten nun dieses schreckliche Schauspiel,« sagte der Pfarrer mit ernster Stimme; »vielleicht aber fehlt es Ihnen an Mitleid mit uns: lassen Sie uns wenigstens hoffen, daß Sie sich täuschen, und daß Gott erlauben wird, daß Sie alles vollenden, was Sie begonnen haben.«
»Alles habe ich nur durch euch getan, meine Freunde,« sagte sie. »Ich habe euch nützlich sein können und bin es nicht mehr. Alles ist grün um uns herum, außer meinem Herzen gibt es hier nichts Trostloses mehr. Sie wissen es, mein lieber Pfarrer; Frieden und Verzeihung kann ich nur dort finden ...«
Sie reckte ihre Hand nach dem Friedhof aus. Niemals hatte sie so viel gesagt seit dem Tage ihrer Ankunft, wo es ihr auf diesem Platze schlecht geworden war.
Der Pfarrer betrachtete sein Beichtkind, und da er lange gewohnt war, sie zu durchdringen, konnte er verstehen, daß sie mit diesem einfachen Worte einen neuen Triumph errungen hatte. Véronique hatte furchtbar sich selber überwinden müssen, um nach diesen zwölf Jahren das Schweigen durch ein Wort zu brechen, das so viel sagte. So faltete denn der Pfarrer die Hände mit einer salbungsvollen Geste, die ihm eigentümlich war, und betrachtete mit frommer tiefer Bewegung die Gruppe, welche diese Familie bildete, deren sämtliche Geheimnisse in seinem Herzen ruhten. Gérard, dem die Worte von Frieden und Verzeihung unverständlich erscheinen mußten, stand höchst erstaunt da. Monsieur Ruffin, dessen Augen auf Véronique geheftet waren, war wie stumpfsinnig. In diesem Augenblick nahm die Kalesche, welche rasend schnell gefahren wurde, Baum um Baum.
»Es sind ihrer fünf Personen,« sagte der Pfarrer, der die Reisenden sehen und zählen konnte.
»Fünf?« rief Monsieur Gérard, »sollten denn fünf mehr wissen als zwei?«
»Ach,« murmelte Madame Graslin, die sich auf des Pfarrers Arm stützte, »der Generalprokurator ist dabei! ... Was will der hier?«
»Und Papa Grossetête auch!« rief Francis.
»Madame,« sagte der Pfarrer, der Madame Graslin hielt und einige Schritte abseits führte, »haben Sie Mut und seien Sie Ihrer selbst würdig.«
»Was will er?« antwortete sie, sich an die Balustrade lehnend. »Mutter!«
Die alte Sauviat lief mit einer Schnelligkeit herbei, die alle ihre Jahre Lügen strafte.
»Ich werde ihn wiedersehen!« sagte Véronique.
»Wenn er mit Monsieur Grossetête kommt,« erwiderte der Pfarrer, »hat er gewißlich nur gute Absichten.«
»Ach, Herr, meine Tochter stirbt!« schrie die Sauviat, als sie den Eindruck sah, den diese Worte auf Madame Graslins Physiognomie hervorriefen. »Könnte ihr Herz denn so grausame Aufregungen ertragen? Monsieur Grossetête hatte diesen Menschen bislang gehindert, Véronique anzusehen ...«
Madame Graslins Antlitz stand in Feuer.
»Sie hassen ihn also sehr?« fragte Abbé Bonnet sein Beichtkind.
»Sie ist aus Limoges fortgegangen, um nicht ganz Limoges in ihre Geheimnisse hineinsehen zu lassen,« sagte die Sauviat, erschrocken über den jähen Wechsel, der sich in Madame Graslins bereits entstellten Zügen vollzog.
»Sehen Sie nicht, daß er
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