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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Beständigkeit, und Tränen rannen dann ohne Ursache aus ihren Augen. In aller Frauen Leben gibt es einen Augenblick, wo sie ihr Schicksal begreifen, wo ihr bis dahin stummer Organismus gebieterisch spricht; nicht immer ist es ein durch einen unwillkürlichen und flüchtigen Blick erwählter Mann, der ihren sechsten schlummernden Sinn weckt, sondern häufiger vielleicht ein unvorhergesehenes Schauspiel, der Anblick einer Landschaft, eine Lektüre, das Beschauen einer religiösen Pompentfaltung, der Einklang natürlicher Düfte, ein köstlicher in seine zarten Dünste verschleierter Morgen, eine göttliche Musik mit einschmeichelnden Noten, endlich eine unerwartete Regung in der Seele oder im Körper. Bei diesem einsamen, an das schwarze Haus gebundenen jungen Mädchen, das von einfachen, fast bäuerlichen Eltern erzogen worden war, das nie ein unsauberes Wort gehört, dessen reine Intelligenz nie den geringsten schlechten Gedanken gefaßt hatte, bei Schwester Marthes und des guten Vikars von Saint-Étienne engelgleicher Schülerin geschah die Offenbarung der Liebe, die das Leben des Weibes bedeutet, durch ein sanftes Buch, durch die Hand des Genies. Für jeden anderen hätte diese Lektüre keine Gefahr bedeutet, für sie war dies Buch schlimmer als ein obszönes Buch. Der Verderb ist relativ. Es gibt jungfräuliche und erhabene Naturen, die ein einziger Gedanke verdirbt, er richtet dort um so größere Verwüstungen an, als die Notwendigkeit eines Widerstandes nicht vorgesehen ist. Am folgenden Morgen zeigte Véronique das Buch dem guten Priester, der seine Erwerbung guthieß, so kindlich, unschuldig und rein ist Paul und Virginias Ruf. Die Hitze der Tropenländer aber und die Schönheit der Landschaften, die fast knabenhafte Reinheit einer schier heiligen Liebe, hatten auf Véronique gewirkt. Durch die sanfte und edle Figur des Verfassers wurde seine Leserin zum Kultus des Ideals jener verhängnisvollen menschlichen Religion verleitet! Sie träumte einen Paul ähnlichen jungen Mann als Geliebten zu haben. Ihre Gedanken umkosten wollüstige Bilder auf einer mit Wohlgerüchen überströmten Insel. Aus Kinderei nannte sie eine unterhalb von Limoges, fast der Vorstadt Saint-Martial gegenüberliegende Insel ÎIle-de-France. In ihren Gedanken hauste dort die phantastische Welt, die sich alle jungen Mädchen zurecht machen und mit ihren eigenen Vollkommenheiten bereichern. Längere Stunden blieb sie an ihrem Fenster und sah die Handwerker vorübergehen, die einzigen Männer, von denen es ihr, dem bescheidenen Stande ihrer Eltern gemäß, gestattet war, zu träumen. Zweifelsohne an den Gedanken gewöhnt, einen Mann aus dem Volke zu heiraten, fand sie in sich selber Instinkte, die jede Roheit zurückwiesen. In dieser Lage mußte es ihr Freude bereiten, einen jener Romane zurechtzumachen, welche alle jungen Mädchen für sich selber ersinnen. Mit der einer so anziehenden und jungfräulichen Einbildungskraft natürlichen Glut liebkoste sie etwa den schönen Gedanken, einen dieser Männer zu läutern, ihn zu der Höhe zu führen, in welche ihre Träume sie stellten; sie schuf vielleicht einen Paul aus irgendeinem jungen Manne, den sie mit ihrem Blicke erwählt, einzig um ihre närrischen Gedanken an ein Wesen zu heften, wie die Dünste der feuchten Atmosphäre, wenn sie der Tod überkommt, sich an einem Baumzweige am Wegrande kristallisieren. Sie mußte sich in einen tiefen Schlund stürzen, denn, wenn sie oft das Aussehen hatte, aus den Höhen herabzusteigen, indem sie über ihrer Stirn etwas wie einen lichtreichen Reflex sehen ließ, öfters noch schien sie in der Hand Blumen zu halten, die am Rande irgendwelches Wildbaches gepflückt worden waren, den sie bis zu der Tiefe eines Absturzes verfolgt hatte. An heißen Abenden bat sie ihren alten Vater um seinen Arm und versäumte keinen Spaziergang am Ufer der Vienne mehr, wo sie sich an den Schönheiten des Himmels und der Landschaft, an den wunderbaren Röten der untergehenden Sonne und den geputzten Wonnen taubenetzter Morgen begeisterte. Ihr Geist strömte seitdem einen Duft natürlicher Poesie aus. Ihre Haare, die sie flocht und kunstlos auf ihrem Kopfe aufsteckte, glättete und schlang sie in einen einfachen Knoten. Ihr Anzug wurde etwas ausgewählter. Der Weinstock, der wild wuchs und sich naturgemäß in die Arme der alten Ulme geworfen hatte, wurde umgepflanzt, beschnitten, er entfaltete sich zu einem grünen und zierlichen Spalier.
    Bei der Rückkehr von einer Reise,

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