Der Dorfpfarrer (German Edition)
die der alte, damals siebzigjährige Sauviat im Dezember 1822 nach Paris machte, kam der Vikar eines Abends; und nach einigen nichtssagenden Phrasen fragte er plötzlich: Denken Sie daran, Ihre Tochter zu verheiraten! Bei Ihrem Alter darf man die Erfüllung einer wichtigen Pflicht nicht hinausschieben.«
»Aber will Véronique sich denn verheiraten?« fragte der Alte höchst erstaunt.
»Wenn es Ihnen gefällt, lieber Vater,« antwortete sie, die Augen niederschlagend.
»Wir wollen sie verheiraten,« rief lächelnd die dicke Mutter Sauviat.
»Warum hast du mir das nicht vor meiner Abreise gesagt, Mutter?« erwiderte Sauviat. »Ich werd' gezwungen sein nach Paris zurückzukehren.«
Jérôme-Baptiste Sauviat hatte sich als ein Mann, in dessen Augen Vermögen alles Glück zu ersetzen schien, der in der Liebe immer nur das Bedürfnis und in der Heirat nur einen Modus gesehen hatte, seine Güter einem anderen Selbst zu übertragen, geschworen, Véronique mit einem reichen Bürger zu verheiraten. Seit langer Zeit hatte dieser Gedanke die Form eines Vorurteils in seinem Hirne angenommen. Sein Nachbar Hutmacher, der zweitausend Livres Rente besaß, hatte schon für seinen Sohn, dem er sein Geschäft abtreten wollte, um die Hand eines so berühmten Mädchens angehalten, wie es Véronique dank ihrer musterhaften Aufführung und ihrer christlichen Sitten war. Sauviat hatte bereits höflich eine Absage gegeben, ohne mit Véronique darüber zu reden. Am Morgen nach dem Tage, an welchem der Vikar, der in den Augen der Sauviatschen Familie eine wichtige Persönlichkeit war, von der Notwendigkeit, Véronique, deren Beichtvater er war, zu verheiraten, gesprochen hatte, rasierte der Alte sich, zog sich wie für einen Feiertag an, und ging aus, ohne weder Frau noch Tochter etwas davon zu sagen. Die eine wie die andere begriffen, daß der Vater auf die Suche nach einem Schwiegersohne ging. Der alte Sauviat begab sich zu Monsieur Graslin. Monsieur Graslin, ein reicher Bankier in Limoges, war wie Sauviat ein Mann, der ohne einen Pfennig aus der Auvergne weggezogen und hingegangen war, um Laufbursche zu sein; er war bei einem Finanzmann in der Eigenschaft als Kassenbote angestellt worden und hatte, ähnlich wie viele Finanzleute, dank Sparsamkeit und auch mittels glücklicher Umstände seinen Weg gemacht. Mit fünfundzwanzig Jahren Kassierer, zehn Jahre später Mitinhaber der Firma Perret und Grossetête geworden, hatte er sich schließlich als Herr des Geschäftes gesehen, nachdem er die beiden alten Bankiers abgefunden hatte, die sich alle beide aufs Land zurückgezogen und ihn ihre Vermögen für geringe Zinsen in der Hand behalten ließen. Der damals siebenundvierzig Jahre alte Pierre Graslin wurde für den Besitzer von mindestens sechsmalhunderttausend Franken gehalten. Der Ruf von Pierre Graslins Vermögen hatte sich kürzlich im ganzen Bezirke vergrößert: jeder hatte seine Freigebigkeit laut gerühmt, die darin bestand, sich in dem neuen Viertel der place des Arbres, die dazu bestimmt war, Limoges eine angenehme Physiognomie zu geben, ein schönes Haus in der Baulinie gebaut zu haben, dessen Fassade der eines öffentlichen Gebäudes entsprach. Dies seit sechs Monaten fertige Haus zögerte Pierre Graslin einzurichten; es kam ihm so teuer zu stehen, daß er den Augenblick, wo er darin wohnen sollte, hinausschob. Seine Eigenliebe hatte ihn sich vielleicht über die weisen Gesetze, die bis dahin sein Leben gelenkt hatten, hinwegsetzen lassen. Mit dem gesunden Menschenverstande eines Kaufmannes sagte er sich, daß das Innere des Hauses mit dem Programm der Fassade in Einklang stehen müßte. Das Mobiliar, das Silberzeug und das für das Leben, das er in seinem Hotel führen würde, notwendige Zubehör, mußten seiner Schätzung nach ebensoviel kosten wie der Bau. Trotz des Stadtklatsches und der Witze der Handelswelt, trotz der mitleidigen Annahmen seines Nächsten blieb er in dem alten, feuchten und schmutzigen Erdgeschoß in der rue Montantmanigne eingepfercht, wo er sein Glück gemacht hatte. Die Oeffentlichkeit machte Glossen, Graslin aber fand die Billigung seiner beiden alten Gesellschafter, die ihn dieser wenig üblichen Festigkeit wegen lobten.
Ein Vermögen, eine Existenz wie die Graslins mußte in einer Provinzstadt zahlreiche Begehrlichkeiten herausfordern. Auch hatte man Monsieur Graslin mehr als einen Heiratsvorschlag seit zehn Jahren angetragen. Doch der Junggesellenstand behagte einem von morgens bis abends
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