Der Dorfpfarrer (German Edition)
reisen, sich in Bädern zu pflegen; welcher Millionenjäger aber kann haltmachen? In diesem glühenden Gesichte funkelten zwei graue Augen, die von grünlichen, vom Apfel ausgehenden Strichen getigert und mit braunen Punkten vermischt waren. Zwei gierige Augen, zwei lebhafte Augen, die in den Grund des Herzens drangen, zwei unversöhnliche Augen voller Entschlußfähigkeit, Redlichkeit und Berechnung. Graslin hatte eine Stülpnase, einen Mund mit dicken Wulstlippen, eine rundliche Stirn, lustige Backen, plumpe Ohren mit breiten Rändern, die von der Schärfe des Blutes angefressen waren. Kurz er war der antike Satyr, ein Faun im Ueberrock, in schwarzer Atlasweste; den Hals preßte eine weiße Krawatte zusammen. Die derben und nervigen Schultern, die früher Lasten getragen hatten, waren bereits gewölbt, und unter dieser übermäßig entwickelten Büste bewegten sich dünne Beine, die mit den kurzen Schenkeln ziemlich schlecht verbunden waren. Die mageren und haarigen Hände wiesen die Hakenfinger der ans Geldzählen gewöhnten Menschen auf. Die Gesichtsfalten liefen von den Backen bis zum Munde in gleichen Furchen wie bei allen mit materiellen Interessen beschäftigten Leuten. Die Gewohnheit jäher Entschlüsse merkte man an der Weise, wie die Augenbrauen nach beiden Stirnlappen hin hochgezogen waren. Obwohl der Mund ernst und zusammengepreßt war, zeigte er eine heimliche Güte, eine ausgezeichnete Seele an, die unter der Geschäftigkeit sich verflüchtet hatte, vielleicht erstickt worden war, im Kontakt mit einer Frau aber wieder zum Vorschein kommen konnte. Bei dieser Erscheinung zog Véroniques Herz sich krampfhaft zusammen, ihr wurde schwarz vor den Augen; sie meinte geschrien zu haben, war aber stumm geblieben, mit gebanntem Blick.
»Hier ist Monsieur Graslin, Véronique!« sagte dann der alte Sauviat.
Véronique erhob sich, grüßte, sank dann auf ihren Stuhl zurück und blickte ihre Mutter an, die dem Millionär zulächelte, und die wie Sauviat so glücklich, aber auch so glücklich schien, daß die arme Tochter die Kraft fand, ihre Ueberraschung und ihren heftigen Widerwillen zu verbergen. Bei der Unterhaltung, die vor sich ging, war von Graslins Gesundheit die Rede. Der Bankier beschaute sich naiv in dem facettierten Spiegel im Ebenholzrahmen.
»Schön bin ich nicht, Mademoiselle,« sagte er.
Und er erklärte die Röte seines Gesichts mit seinem tatkräftigen Leben und erzählte, wie er den Anordnungen der Medizin nicht Folge leiste; er schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß sein Aussehen sich ändern würde, wenn eine Frau in seinem Haushalte schalte und mehr Sorge um ihn als er selbst habe.
»Heiratet man denn einen Mann seines Gesichtes wegen, Junge?« sagte der alte Alteisenhändler und versetzte seinem Landsmanne einen derben Schlag auf den Schenkel. Graslins Erklärung richtete sich an jene natürlichen Gefühle, von denen jedes Frauenherz mehr oder minder erfüllt ist. Véronique dachte, daß sie selber ein durch eine schreckliche Krankheit zerstörtes Gesicht habe, und ihre christliche Bescheidenheit ließ sie von ihrem ersten Eindrucke abkommen.
Als Graslin einen Pfeifenton auf der Straße hörte, ging er, gefolgt von dem beunruhigten Sauviat, hinunter. Alle beide kamen sofort wieder herauf. Der Laufbursche brachte einen ersten Blumenstrauß, den man erwartet hatte.
Als der Bankier diesen Haufen ausländischer Blumen zeigte, deren Düfte das Zimmer erfüllten, und die er seiner Zukünftigen reichte, empfand Véronique Gemütsbewegungen, die denen, welche ihr Graslins erster Anblick verursacht hatte, ganz entgegengesetzt waren; sie wurde wie in die ideale und phantastische Welt der tropischen Natur versenkt. Niemals hatte sie weiße Kamelien gesehen, niemals Alpenveilchen, Zitronenkraut, Azorenjasmin, Zinerarien, Bisamrosen und alle jene göttlichen Düfte gerochen, die wie ein Reizmittel der Zärtlichkeit sind und dem Herzen Hymnen der Wohlgerüche vorsingen. Graslin überließ Véronique dieser Bewegung als Beute. Seit der Rückkehr des Alteisenhändlers schlich der Bankier, wenn alles in Limoges schlief, sich die Mauern entlang bis nach Vater Sauviats Hause. Leise klopfte er an die Fensterläden, der Hund bellte nicht, der Alte kam herunter, öffnete seinem Landsmanne und Graslin verbrachte ein oder zwei Stunden in dem braunen Zimmer bei Véronique. Dort fand Graslin stets sein Auvergnater Abendessen von Mutter Sauviat aufgetragen. Niemals kam der seltsame Liebhaber, ohne Véronique
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