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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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beobachteten und die Türen und Fenster gegen alle Gewohnheiten geschlossen fanden, entstand in der Vorstadt Saint-Étienne eine Aufregung, welche sich bald bis in die rue des Cloches fortpflanzte, wo Madame des Vanneaulx wohnte. Die Nichte hatte beständig eine Katastrophe befürchtet; sie benachrichtigte das Gericht, das die Türen erbrach. Man sah bald in den vier Gevierten vier leere und im Umkreise mit den Scherben der am Vorabend noch vollen Goldtöpfe bestreute Löcher. In zwei der schlecht wieder zugeschütteten Löcher waren die Leichen des Vaters Pingret und der Jeanne Malassis mit ihren Kleidern eingescharrt. Das arme Mädchen war mit bloßen Füßen und im Hemde herbeigeeilt.
    Während der Staatsanwalt, der Polizeikommissar und der Untersuchungsrichter die wesentlichen Bestandteile zum Prozeßverfahren sammelten, sammelte die unglückliche des Vanneaulx die Scherben der Töpfe und schätzte die gestohlene Summe nach ihrem Fassungsvermögen. Die Beamten anerkannten die Richtigkeit der Schätzungen, indem sie die gestohlenen Reichtümer auf tausend Goldstücke pro Topf veranschlagten; waren es nun aber Stücke zu achtundvierzig oder vierzig, vierundzwanzig oder zwanzig Franken? Alle die in Limoges Erbschaften erwarteten, teilten den Schmerz der des Vanneaulx.
    Durch das Schauspiel dieser zerbrochenen Goldtöpfe wurden die Limousiner Einbildungskräfte lebhaft angeregt. Was den kleinen Vater Pingret anlangte, der häufig selber Gemüse auf dem Markte verkaufte, der von Zwiebeln und Brot lebte, der keine dreihundert Franken jährlich ausgab, der keinem Menschen eine Gefälligkeit erwies noch unfreundlich begegnete und in der Vorstadt Saint-Étienne niemandem etwas Gutes getan hatte, so gab er keinerlei Anlaß zu irgendwelchem Bedauern. Jeanne Malassis' Heldenmut, den ihr der Alte kaum würde gelohnt haben, hielt man für unangebracht; die Zahl der Leute, die sie bewunderte, war klein im Verhältnis zu denen, die da sagten: »Ich, ich würde hübsch weitergeschlafen haben.« Die Gerichtsleute fanden in dem nackten, verwohnten, kalten und unheilvollen Hause weder Feder noch Tinte, um ein Protokoll aufzunehmen. Die Neugierigen und der Erbe sahen nun die Widersinnigkeiten, die sich bei gewissen Geizhälsen bemerkbar machen. Der Abscheu des kleinen Greises vor Ausgaben blickte durch die nicht reparierten Dächer, die ihre Seiten dem Licht, dem Regen und dem Schnee öffneten, durch die grünen Risse, welche die Mauern furchten, durch die klaffenden, verfaulten Türen, die bereit waren, beim geringsten Stoß einzufallen, und die mit ungeöltem Papier verklebten Fenster. Ueberall waren die Fenster ohne Vorhänge, ohne Spiegel und Brennböcke die Kamine, deren sauberes Feuerloch mit einem Holzscheit oder Splitterholz versehen war, das durch den Schweiß der Ofenröhre beinahe lackiert worden war. Dann wacklige Stähle, zwei dürftige, plattgelegene Betten, rissige Töpfe, abgestoßene Teller, dreibeinige Sessel; an Pingrets Bett hingen Vorhänge, welche die Zeit mit kühnen Händen bestickt hatte, ein von den Würmern aufgefressener Sekretär, wo hinein er seine Sämereien schloß, durch Stopfen und Nähen dicker gemachtes Leinenzeug; kurz ein Haufen Lumpen, die nur von dem Geist des Besitzers zusammengehalten, als er tot war, in Fetzen, in Staub, in chemische Auflösung, in Trümmern, und ich weiß nicht in was für einen namenlosen Zustand zerfielen, als die brutalen Hände des wütenden Erben oder die Gerichtsleute daran rührten. Die Dinge verschwanden wie erschreckt vor einem öffentlichen Verkaufe. Die große Mehrheit der Hauptstadt Limousins interessierte sich lange für die beiden des Vanneaulx, die zwei Kinder hatten; als aber das Gericht den mutmaßlichen Urheber des Verbrechens gefunden zu haben glaubte, nahm diese Persönlichkeit die Aufmerksamkeit für sich in Anspruch, sie wurde ein Held und die des Vanneaulx blieben im Schatten des Gemäldes. Gegen Ende März hatte Madame Graslin schon einige jener Beschwerden ausgestanden, die eine erste Schwangerschaft verursacht, und die sich nicht mehr verbergen. Das Gericht leitete damals die Untersuchung wegen des in der Vorstadt Saint-Étienne verübten Verbrechens ein, und der Mörder war noch nicht festgenommen worden. Veronique empfing ihre Freunde in ihrem Schlafzimmer, wo man ein Spiel machte. Seit einigen Tagen ging Madame Graslin nicht mehr aus; sie hatte bereits mehrere jener Grillen gehabt, die bei allen Frauen der Schwangerschaft zugeschrieben werden;

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