Der Dorfpfarrer (German Edition)
Provinzjustiz, die viel Zeit dazu hat, konnten kein Licht in die Geheimnisse dieser Existenz bringen. Die sorgfältig ausgefragte Wirtin des möblierten Hauses, in welchem Jean-François wohnte, hatte, wie sie sagte, nie einen jungen Mann beherbergt, dessen Sitten so rein gewesen waren. Er besaß einen liebenswürdigen und sanften, beinahe heiteren Charakter. Etwa ein Jahr vor dem begangenen Verbrechen schien seine Gemütsart verändert, er schlief mehrere Male im Monat, und oft einige Nächte hintereinander, auswärts: in welchem Stadtteile verbrachte er diese Nächte? Sie wußte es nicht. Nur meinte sie mehrere Male dem Aussehen seiner Schuhe nach zu schließen, daß ihr Mieter vom Lande zurückkäme. Obwohl er die Stadt verließ, trug er, anstatt Nagelstiefel anzuziehen, leichte Schuhe. Bevor er wegging, rasierte und parfümierte er sich und zog frische Wäsche an. Die Untersuchung dehnte ihre Nachforschungen bis auf die öffentlichen Häuser und die Weiber von schlechtem Lebenswandel aus, doch Jean-François Tascheron war dort unbekannt. Man suchte Aufschlüsse in der Klasse der Arbeiterinnen und Grisetten, keines aber der Mädchen, die ein lockeres Leben führten, hatte Beziehungen zu dem Angeklagten gehabt. Es war ein motivloses und unbegreifliches Verbrechen, besonders für einen jungen Menschen, den sein Hang, sich zu unterrichten, und sein Ehrgeiz auf Ideen bringen und einen Verstand verleihen mußte, die hoch über denen anderer Arbeiter standen. Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter schrieben den von Tascheron begangenen Mord der Spielwut zu, doch durch peinlichste Nachforschungen ließ sich beweisen, daß der Angeklagte nie gespielt hatte. Ganz im Anfang beschränkte sich Jean-François auf ein System der Ableugnung, das er den Beweisen gegenüber angesichts der Geschworenen fallen lassen mußte, was aber auf das Vorhandensein einer mit reichen juristischen Kenntnissen oder mit überlegenem Geiste begabten Person hindeutete. Die Beweise, deren hauptsächlichste hier folgen, waren wie bei sehr vielen Mordtaten, schwerwiegend und zugleich nichtssagend: Tascherons Abwesenheit in der Nacht des Verbrechens ohne daß er sagen wollte, wo er gewesen war; der Angeklagte wollte kein Alibi ersinnen. Ein Fetzen seiner ohne sein Wissen von der armen Magd im Fallen zerrissenen Bluse, den der Wind fortgetragen hatte und der in einem Baume gefunden worden war. Seine Anwesenheit bei dem Hause am Abend, die von Vorübergehenden und Vorstadtleuten, die sich dessen ohne das Verbrechen nicht erinnert haben würden, bemerkt worden war. Ein von ihm selber hergestellter Nachschlüssel, um durch die Türe gehen zu können, die auf die Felder führte, welchen er ziemlich geschickt zwei Fuß tiefer in einem der Löcher vergraben hatte, wo Monsieur des Vanneaulx aber zufällig wühlte, um zu sehen, ob der Schatz nicht zwei Abteilungen hätte. Die Untersuchung bekam schließlich heraus, wer das Eisen verschafft, den Schraubstock geliehen und wer die Feile hergegeben hatte. Dieser Schlüssel war Indizium und führte auf Tascherons Spur, der an der Provinzgrenze an einem Walde verhaftet wurde, wo er auf die vorbeifahrende Schnellpost wartete. Eine Stunde später wäre er nach Amerika abgereist gewesen. Kurz, trotz der Sorgfalt, mit der die Fußspuren in den bestellten Ländereien und im Straßenkot verwischt worden waren, hatte der Feldhüter leichte Schuheindrücke gefunden, die sorgsam beschrieben und aufgehoben wurden. Als man Durchsuchungen bei Tascheron machte, stimmten die auf diese Spuren gehaltenen Sohlen seiner leichten Schuhe vollkommen damit überein. Dies verhängnisvolle Zusammentreffen bekräftigte die Beobachtungen der neugierigen Wirtin. Die Untersuchung schrieb das Verbrechen einem fremden Einflusse und keinem persönlichen Entschlusse zu; sie glaubte an eine Mittäterschaft, was die Unmöglichkeit, die vergrabenen Summen fortzubringen, bewies. Wie stark ein Mensch auch ist, fünfundzwanzigtausend Franken in Gold kann er nicht weit bringen. Wenn jeder Topf diese Summe enthielt, hatten die vier vier Wege nötig gemacht. Ein sonderbarer Umstand nun bestimmte die Stunde, in der die Tat begangen sein mußte. In dem Schrecken, welchen ihres Herren Schreie ihr verursachen mußten, hatte Jeanne Malassis beim Aufstehen den Nachttisch umgeworfen, auf dem ihre Uhr lag. In dieser Uhr, – das einzige Geschenk, welches der Geizhals ihr in fünf Jahren gemacht hatte, – war beim Fallen die Hauptfeder entzweigegangen; sie
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