Der Dorfpfarrer (German Edition)
literarischen oder philosophischen Gegenstand, über religiöse Fragen plaudert, an denen sie Anteil nimmt, beseelt sie sich und es erscheint plötzlich eine unbekannte Frau von wunderbarer Schönheit!«
Diese Erklärung, die sich auf die Wahrnehmung des Phänomens stützte, das Véronique ehedem bei ihrer Rückkehr vom heiligen Tische so schön machte, erregte lebhaftes Aufsehen in Limoges, wo der neue Staatsanwaltsgehilfe, dem, wie es hieß, der Rang eines stellvertretenden Generalprokurators versprochen worden war, für den Augenblick die erste Rolle spielte. In allen Provinzstädten wird ein einige Stufen über den anderen stehender Mann für eine mehr oder weniger lange Zeit Gegenstand einer übertriebenen Vorliebe, die dem Enthusiasmus gleicht und den Gegenstand über diesen vergänglichen Kultus täuscht. Dieser sozialen Laune verdanken wir die Genies eines Bezirks, die verkannten und in ihren falschen Ueberlegenheiten ewig gekränkten Männer. Dieser Mann, den die Frauen in Mode bringen, ist häufiger ein Fremder als ein Landesansässiger; in Hinsicht auf den Vicomte de Granville täuschte sich – ein seltener Fall – die Bewunderung nicht. Madame Graslin war die einzige, mit welcher der Pariser seine Gedanken hätte austauschen und seine vielseitige Unterhaltung führen können. Einige Monate nach seiner Ankunft schlug daher der Staatsanwaltsgehilfe, der von dem wachsenden Reiz der Unterhaltung und von Véroniques Benehmen entzückt war, dem Abbé Dutheil und einigen bemerkenswerten Leuten der Stadt vor, bei Madame Graslin Whist zu spielen. Véronique empfing dann fünfmal in der Woche, denn sie wollte sich, wie sie sagte, zwei freie Tage für ihr Haus aufheben. Als Madame Graslin die einzigen bedeutenden Männer der Stadt um sich hatte, ergriffen andere die Gelegenheit, sich ein Geistreichigkeitspatent auszustellen, indem sie dieser Gesellschaft angehörten. Véronique ließ noch die drei oder vier bemerkenswerten Militärs des Garnison- und des Regimentsstabes zu. Die geistige Freiheit, deren sich ihre Gäste erfreuten, die absolute Verschwiegenheit, an die man ohne Abmachung und durch Anwendung der Sitten der höchsten Gesellschaft gebunden war, machten Véronique äußerst schwierig bei der Zulassung derer, die nach der Ehre ihrer Gesellschaft haschten. Die Frauen der Stadt sahen nicht ohne Eifersucht Madame Graslin von den geistreichsten, den liebenswürdigsten Männern von Limoges umgeben; doch ihre Macht war damals um so ausgedehnter je zurückhaltender sie war. Sie nahm vier oder fünf fremde, mit ihrem Ehemann aus Paris gekommene Frauen auf, die einen Ekel vor den Provinzklatschereien hatten. Wenn eine außerhalb dieser Elitewelt stehende Person einen Besuch machte, wechselte das Gespräch durch stillschweigende Uebereinkunft sofort, die Hausfreunde erzählten dann nur noch Nichtigkeiten. Das Hotel Graslin wurde also eine Oase, wo die überlegenen Geister sich für die Oede des Provinzlebens entschädigten, wo die mit der Regierung verbundenen Leute offenherzig über die Politik plaudern konnten, ohne fürchten zu müssen, daß man ihre Worte wiederholte; wo man sich in geistvoller Weise über alles lustig machte, was lächerlich war, wo jeder das Gewand seines Berufes ablegte, um sich seinem wahren Charakter zu überlassen. So wurde Madame Graslin, nachdem sie das unbekannteste Mädchen von Limoges gewesen war, nachdem man sie für eine Null, für häßlich und dumm ausgegeben hatte, zu Beginn des Jahres 1828 für die erste Person der Stadt, und die gefeiertste der Frauenwelt angesehen. Niemand besuchte sie morgens, denn jeder kannte ihre wohltätigen Gewohnheiten und die Pünktlichkeit ihrer Religionsübungen: sie hörte fast immer die erste Messe an, um das Frühstück ihres Mannes nicht hinauszuzögern, der sich an keine Regelmäßigkeit gewöhnt hatte, und den sie doch immer bedienen wollte. Mit dieser kleinen Sache hatte Graslin sich schließlich bei seiner Frau abgefunden. Nimmer unterließ Graslin es, seine Frau herauszustreichen, er fand sie vollkommen. Sie bat ihn um nichts, er konnte Taler auf Taler häufen und sich auf dem Geschäftsgebiete ausbreiten. Er hatte Beziehungen mit dem Hause Brézac angeknüpft und schiffte in aufsteigender und fortschreitender Bahn auf dem Handelsozeane; auch erhielt ihn sein überreiztes Interesse in der stillen und berauschenden Wut der auf die großen Ereignisse des grünen Teppichs der Spekulation aufmerksamen Spieler.
Während dieser glücklichen
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