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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Zeit und bis zu Beginn des Jahres 1829 wurde Madame Graslin unter den Augen ihrer Freunde außergewöhnlich schön, ein Umstand, dessen Gründe nie recht erklärt wurden. Das Blau der Iris wuchs wie eine Blume und verminderte den braunen Kreis der Augäpfel, indem er in einen feuchten und schmachtenden Schimmer voller Liebe getaucht schien. Man sah ihre von Erinnerungen, von Glücksgedanken leuchtende Stirn wie einen Gipfel im Morgenrot licht werden, und ihre Linien läuterten sich an inneren Feuern. Ihr Gesicht verlor jene heißen braunen Töne, die eine beginnende Leberentzündung anzeigten, die Krankheit kräftiger Temperamente oder Menschen, deren Seele leidet, deren Neigungen sich widersprechen. Ihre Schläfen bekamen wieder eine anbetungswürdige Frische. Oft sah man endlich dann und wann das himmlische, eines Raffael würdige Gesicht, das die Krankheit mit einer Kruste überzogen hatte, wie die Zeit eine Leinwand dieses großen Meisters schmutzig macht. Ihre Hände schienen weißer zu sein, ihre Schultern bekamen eine köstliche Fülle, ihre hübschen und beseelten Bewegungen gaben ihrer biegsamen und geschmeidigen Figur ihren ganzen Wert wieder. Die Damen der Stadt klagten sie an, Monsieur de Granville zu lieben, der ihr übrigens ständig den Hof machte, und dem Véronique die Schranken eines frommen Widerstandes entgegenstellte.
    Der Staatsanwaltsgehilfe bekannte öffentlich eine respektvolle Bewunderung für sie, in der sich die ständigen Besucher des Salons durchaus nicht täuschten. Die Priester und die geistreichen Leute errieten recht gut, daß diese, auf seiten des jungen Beamten verliebte Zuneigung bei Madame Graslin nicht über die erlaubten Grenzen hinausging. Einer Verteidigung müde, die sich auf die religiösesten Gefühle stützte, hatte der Vicomte de Granville mit Wissen der Intimen dieser Gesellschaft leichte Verhältnisse, die ihn jedoch an seiner ständigen Bewunderung und seinem Kultus bei der schönen Madame Graslin – denn das war 1828 ihr Beiname in Limoges – durchaus nicht hinderten. Die hellsichtigen Leute schrieben diesen Wechsel der Physiognomie, welcher Veronique noch reizender für ihre Freunde machte, den heimlichen Wonnen zu, die jede, selbst die frömmste Frau empfindet, sich den Hof gemacht zu sehen, der Befriedigung, endlich in dem Mittelpunkt zu leben, der ihrem Geiste entsprach, dem Vergnügen, ihre Gedanken auszutauschen, was die Langeweile ihres Lebens zerstreute, und dem Glücke, von liebenswürdigen unterrichteten Menschen umgeben zu sein, wahren Freunden, deren Zuneigung täglich wuchs.
    Vielleicht hätte es noch tieferer, scharfsichtigerer oder mißtrauischerer Beobachter, als die Stammgäste des Graslinschen Hauses es waren, bedurft, um die wilde Größe, die Kraft des Volkes zu bemerken, die Véronique in die Tiefe ihres Herzens zurückgedrängt hatte. Wenn sie manchmal überrascht wurde, wie sie der Erstarrung einer entweder tristen oder einfach nachdenksamen Meditation preisgegeben war, so wußte jeder ihrer Freunde, daß sie in ihrem Herzen viel Elend mittrug, daß sie am Morgen zweifelsohne viele Schmerzen in sich aufgenommen hatte, daß sie in Pfuhle drang, wo einen die Laster durch ihre Naivität erschrecken. Oft tadelte sie der Staatsanwaltsgehilfe, der bald Vertreter des Generalprokurators geworden war, einer unklugen Wohltat wegen, die das Gericht in den Geheimnissen seiner zuchtpolizeilichen Vorschriften für eine Ermutigung zu keimenden Verbrechen angesehen hatte.
    »Haben Sie für irgendwelche Ihrer Armen Geld nötig?« sagte dann der alte Grossetête, sie bei der Hand fassend, zu ihr, »ich will Mitwisser Ihrer Wohltaten sein!«
    »Unmöglich kann man alle Welt reich machen!« antwortete sie, einen Seufzer ausstoßend.
    Bei Beginn dieses Jahres geschah ein Ereignis, welches Véroniques inneres Leben gänzlich verändern und den herrlichen Ausdruck ihrer Physiognomie verwandeln sollte, um ein in Maleraugen tausendmal anziehenderes Bild daraus zu machen. Einigermaßen besorgt um seine Gesundheit wollte Graslin zur größten Verzweiflung seiner Frau nicht mehr sein Erdgeschoß bewohnen; er kehrte in das eheliche Gemach zurück, wo er sich pflegen ließ. Bald bildete Madame Graslins Zustand die große Neuigkeit für Limoges: sie war schwanger. Ihre mit Freude vermischte Traurigkeit beschäftigte ihre Freunde, die dann errieten, daß sie sich trotz ihrer Tugenden glücklicher gefühlt hätte, wenn sie von ihrem Manne getrennt gelebt haben würde.

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