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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ihre Mutter besuchte sie fast jeden Tag und alle beide blieben lange Stunden über beieinander. Es war neun Uhr, die Spieltische blieben ohne Spieler, alle Welt plauderte über den Mord und die des Vanneaulx. Der stellvertretende Generalprokurator trat ein.
    »Wir haben Vater Pingrets Mörder!« sagte er mit froher Stimme.
    »Wer ist's?« fragte man ihn von allen Seiten.
    »Ein Porzellanarbeiter, dessen Aufführung ausgezeichnet war und der es zu was bringen mußte ... Er arbeitete übrigens in Ihres Mannes ehemaliger Manufaktur,« sagte er, sich an Madame Graslin wendend.
    »Wer ist's?« fragte Véronique mit einer schwachen Stimme.
    »Jean-François Tascheron.«
    »Der Unglückliche!« rief sie. »Ja, ich habe ihn mehrere Male gesehen; mein armer Vater hatte ihn mir als einen wertvollen Menschen anempfohlen ...«
    »Vor Sauviats Tode war er schon nicht mehr da; war in die Fabrik der Philippart eingetreten, die ihm vorteilhafte Angebote machten,« bemerkte die alte Sauviat. »Doch ist meine Tochter wohl genug, um solch eine Unterhaltung mit anzuhören?« sagte sie, Madame Graslin anblickend, die weiß wie ihre Bettücher geworden war.
    Seit diesem Abend gab die alte Mutter Sauviat ihr Haus auf und machte sich trotz ihrer Sechsundsechzig Jahre zur Krankenwärterin ihrer Tochter. Sie verließ das Zimmer nicht, Madame Graslins Freunde fanden sie dort zu jeder Stunde heroisch am Kopfende des Bettes sitzen, wo sie sich wie zuzeiten der Blattern, kein Auge von Veronique wendend, für sie antwortend und nicht immer Besuche zulassend, mit ihrem ewigen Strickstrumpfe beschäftigte. Die mütterliche und töchterliche Liebe von Mutter und Tochter war so bekannt in Limoges, daß sich kein Mensch über das Benehmen der alten Frau wunderte.
    Als der stellvertretende Generalprokurator einige Tage später die Einzelheiten über Jean-François Tascheron, auf welche die ganze Stadt begierig war, im Glauben, die Kranke damit zu unterhalten, erzählen wollte, unterbrach ihn die Sauviat jäh, indem sie erklärte, daß er Madame Graslin noch üble Träume bereiten würde. Véronique bat Monsieur de Granville fertig zu berichten, und sah ihn dabei fest an. So erfuhren denn Madame Graslins Freunde bei ihr und als erste durch den stellvertretenden Generalprokurator das Untersuchungsergebnis, das bald allgemein bekannt werden sollte.
    Nachstehendes waren, doch der Reihenfolge nach, in gedrängter Kürze die Grundbestandteile der Anklageschrift, welche die Staatsanwaltschaft damals vorbereitete.
    Jean-François Tascheron war der Sohn eines familienreichen kleinen Richters, der in dem Marktflecken Montégnac wohnte. Zwanzig Jahre vor diesem in Limousin berühmt gewordenen Verbrechen empfahl sich der Bezirk Montégnac durch seine schlechten Sitten. Die Staatsanwaltschaft in Limoges sagte sprichwörtlich, daß unter hundert Verurteilten der Provinz fünfzig dem Kreise zugehörten, dem Montégnac unterstellt war. Seit 1816, zwei Jahre nach des Pfarrers Bonnet Ankunft, hatte Montégnac seinen traurigen Ruf verloren, seine Bewohner hatten aufgehört, ihren Beitrag zum Schwurgericht zu schicken. Dieser Wechsel wurde durchgehends dem Einflüsse zugeschrieben, den Monsieur Bonnet auf die Gemeinde ausübte, die ehemals Sitz der üblen Subjekte war, welche die Gegend peinigten. Jean-François Tascherons Verbrechen verlieh Montégnac plötzlich seinen früheren Ruf wieder. Durch ganz besondere Zufallswirkung war die Familie Tascheron beinahe die einzige des Landes, welche die alten musterhaften Sitten und jene frommen Gewohnheiten bewahrt hatte, welche Beobachter heute mehr und mehr auf dem Lande verschwinden sehen; daher hatte sie einen Stützpunkt für den Pfarrer gebildet, der sie natürlich in seinem Herzen trug. Jene, ihrer Rechtschaffenheit, Eintracht und Arbeitsfreude wegen bemerkenswerte Familie hatte Jean-François Tascheron nur gute Beispiele gegeben. Aus dem löblichen Ehrgeiz, in der Industrie ein anständiges Brot zu verdienen nach Limoges gelockt, hatte der Bursche zu seiner Verwandten und Freunde lebhaftem Bedauern den Marktflecken verlassen, wo man ihn gern sah. Während der zweijährigen Lehrzeit war seine Aufführung nur Lobes würdig, keine merkliche Unordentlichkeit hatte das schreckliche Verbrechen, durch das er sein Leben endigte, vorausahnen lassen. Jean-François Tascheron hatte die Zeit, die andere Arbeiter in Liederlichkeit und in der Kneipe verleben, mit Lernen und Sichunterrichten zugebracht. Die genauesten Nachforschungen der

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