Der Drache am Himmel
Vorfall mehr gekommen ist, seit der Mann im Gefängnis sitzt.«
An diese Bemerkung von Réa knüpfte Rosa erst an, als sie schon wieder im Wagen saßen, unterwegs zu Benedikts Taverne , um eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Da das Geschäft dort seit Längerem schlecht lief, waren sie sicher, einen Tisch zu finden. Rosa sagte also wie aus dem Nichts heraus: »Da hast du auch wieder recht.«
»Womit denn um alles in der Welt?«
»Damit, dass nichts mehr vorgefallen ist, seit der Kerl in U-Haft sitzt. Darin siehst du doch wohl den Beweis dafür, dass sie den Richtigen erwischt haben, ja?«
Réa blickte Rosa verblüfft an: »Und daran hast du bis eben rumgekaut?«
»Sozusagen.« Daran und was sich daraus machen lässt, dachte sie.
Die Taverne hatte geschlossen.
»Fütterung nur am Mittwoch? Aber wenn mich was daran interessiert, dann doch, wie die Biester fressen.« Lilith legte den Prospekt einer Krokodilfarm bei Roquemaure auf den Stapel mit Infomaterial über Ausflugsziele, die sie bereits verworfen hatten. Maurice nickte zustimmend, spottete aber: »Du stehst also auf gefräßige Monster?«
»Nee! Die tun auch bloß, was sie tun müssen.«
»Und was ist damit?« Maurice deutete auf das Werbeleporello für die römische Arena in Nîmes, auf dessen Vorderseite ein Stierkämpfer in hautengen Hosen zu sehen war. »Der? Der muss gar nichts. So ein Idiot«, schimpfte Lilith.
»He! Picasso stand auf corridas . Und Hemingway war richtig scharf drauf.«
»Beides keine Musiker, siehst du. Dieses Stierkampf-Theater ist nur was für Feiglinge.«
»Sehen würd’ ich das aber eigentlich schon gern mal. Einfach, damit ich kapiere, wieso man dermaßen darauf abfahren kann.«
»Dann bist du auch nur ein Voyeur mehr, der für so einen Quatsch auch noch Geld hinblättert. Aber ohne mich! In Madrid gibt es übrigens ganz in der Nähe der Arena ein Lokal, in dem man nach den Kämpfen Stierhoden bestellen kann – cojones –, echt wahr! Da hat sich mal einer beschwert, weil seine Portion so klein war. Und was antwortet der Kellner? ›Kein Wunder, heute hat ja auch der Stier gewonnen.‹ Lilith schüttelte sich vor Lachen, während Maurice nur unsicher und beschämt kicherte – er selbst hatte ja wirklich zwei kleine Dinger. Dagegen fand Lilith, so verlegen, wie er jetzt wirke, sei er zum Fressen süß …
Sie durchstöberten von Neuem Rosas Prospektsammlung und stießen auf die Aigles de Beaucaire.
»Genau, Adler – das ist es doch!«, begeisterte sich Maurice.
»Dann also nichts wie los!«
Und während weit im Norden Rosa und Réa schweigsam der Seestraße folgten, fuhren Lilith und Maurice palavernd durch ein Geflecht kleinster Sträßchen nach Beaucaire. Es wurde abenteuerlich und also lustig, denn die Landkarte, die sie im Wagen gefunden hatten, stammte »ungefähr aus Napoleons Zeiten«, wie Lilith spottete. Kaum etwas stimmte noch. Oft hielten sie an und fragten. Entweder waren die Auskünfte oder ihre Französischkenntnisse nicht besonders gut: jedenfalls verfuhren sie sich mehr als einmal. Aber das spielte keine Rolle. Sie waren zusammen und unterwegs und das Ziel sowieso nur ein Vorwand. Ihr Gespräch flitzte so rasch von einem Thema zum anderen, wie die Kurven vor ihnen auftauchten. Maurice jammerte, dass er seit Wochen mit seinen Songs nicht vorankam. Lilith schlug vor, gleich einen neuen zu texten. Doch über den Reim Nothing else has more style / than the weekly dinner of my crocodile kamen sie nicht hinaus. Lilith schwärmte von einer schottischen Malerin, deren Ausstellung in München sie mit Maurice unbedingt besuchen wollte. »Keines ihrer Bilder ist so schlecht wie mein braunes.« Sie räusperte sich überdeutlich, um Maurice auf die verkappte Pointe aufmerksam zu machen. Doch er blickte sie nur verständnislos an.
»Ah! Ich komme also um ein Geständnis nicht herum«, sagte sie. »Als ich dir erstmals meine Bilder zeigte, da warst du total begeistert. Jedes einzelne bekam ein dickes Lob von dir. Bestimmt will mich der mit seinen Schmeicheleien nur rumkriegen, habe ich mir gedacht. Und deshalb das braune gemalt, in fünf Minuten einfach hingeschmiert, es dir aber mit demonstrativem Stolz gezeigt. Dabei war es nur ein Schmierenstück, um dich zu testen …«
»Wirklich? Da hab’ ich ja Schwein gehabt …«
»Nee, Schwein war das nicht. Du warst ehrlich. Ich fand das riesig. Du hast geschaut und geschaut und geschwiegen. Ich spürte, wie verzweifelt du nach einem Ausweg suchtest …«
»Es war
Weitere Kostenlose Bücher