Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
Vom Netzwerk:
nie. Réa kam schnell auf den Punkt: Shandar werde verfolgt und müsse unbedingt raus aus der Stadt. Sie berichtete, wie bedrohlich die Lage für ihren Freund geworden sei: Der BMW, die Anrufe, das Fauchen, die Observierung, überhaupt alles sei verdächtig. Je länger sie redete, desto aufgeregter wurde sie und desto schonungsloser deckte sie Aldos Machenschaften in Ghana auf. Für sie war sein Verbrechen bewiesen und Shandars Erpressung des guten Zweckes wegen entschuldbar, Aldo ein Schuft, Shandar ein Held. »Ich verstehe überhaupt nicht, was aus Aldo geworden ist. Lernt man denn, verdammt noch mal, nie jemanden richtig kennen? Rosa, du müsstest den Film mit den Kindern sehen! Diese Gesichter. Unterwürfige, entsetzte Gesichter …«
    »Ach, man kann ja schon froh sein, wenn man sich selbst richtig kennenlernt«, brummelte Rosa vor sich hin und dachte an zwei andere Kinder, an die vierzehnjährigen Freunde Severin und Aldo, wie sie mit erhitzten Gesichtern vom Tennisplatz zu ihr in die Küche und an den Kühlschrank stürmten. Aldos schwarzes Kraushaar war immer so verklebt, dass es wie aufgemalt wirkte. Und Severin hatte wieder einmal das Match verloren.
    »Wenn also Shandar ein paar Wochen bei dir in der Provence …«
    Languedoc. Salvatores Haus steht im Languedoc und nicht in der Provence, dachte Rosa und seufzte. Ihre Erinnerung an die Jungen war verblasst. Ersetzt durch Salvatores Gesicht. Ausdruckslos wie eine Totenmaske. »Fahr doch mal ran«, sagte sie.
    Sie stiegen aus und setzten sich auf eine der grünen, aus irgendwie fetten Brettern zusammengefügten Bänke. »Gestiftet von der Création Bellini« besagte die Inschrift des Kurvereins. Ausgeblichen, wie die Schrift war, musste die Bank noch ein Geschenk aus Salvatores Zeiten sein. Die beiden Frauen schwiegen auf einen blassen, blanken See hinaus, dessen Oberfläche keine Regung zeigte. Beide rangen mit ihren Gedanken. Réa fieberte Rosas Entscheidung entgegen. Sie muss bereit sein, Shandar aufzunehmen, sie muss einfach. Rosa dagegen war tief in die Vergangenheit abgetaucht. Ein hemmungslos gut gelaunter Salvatore zwickte seinem Severin, der in ihren Armen schlief, ins Näschen und lachte. Obwohl es kein grober Griff war, wachte der Kleine auf. Rosa sah Salvatores dicke Finger, hörte sein Lachen und sie blickte in Severins Äuglein. Ihr kamen die Tränen, aber sie kämpfte sie tapfer nieder. Glücklicherweise hatte Réa jetzt wieder das Wort ergriffen – »… tritt sie zurück. Ich finde das ja widersinnig. Aber weißt du überhaupt schon davon?«
    »Nein, nichts!«, gab Rosa unwirsch zurück. Es spielte doch gar keine Rolle, was sie wusste oder nicht wusste. Sie war aus ihrem Leben herausgefallen. Hinter mir nur Versäumnisse. Vor mir Severin. Und dazwischen nichts als Leere, dachte sie.
    »Ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, dass Carla Aldo verlassen wird. Und was das Makaberste dabei ist: Sie hat ihren eigenen Mann im Verdacht. Aber vergiss es, darüber sollte ich gar nicht sprechen.«
    »Doch!«, sagte Rosa hart. Sie war plötzlich hellwach.
    »Nein, das kann ich nicht. Schon, weil ich viel zu wenig weiß. Klar ist nur, dass Carla aus ihrem Schöffenamt rauswill. Weil sie befürchtet, es könnte zu einem Justizirrtum kommen. Sie hält den Angeklagten nämlich für einen gestörten Kauz, der sein ganzes Selbstwertgefühl im Alkohol verloren hat. Und sich deshalb mit fremden Federn schmücken will – notfalls eben auch mit einer Tat, die er gar nicht begangen hat. Denn Carla zufolge gehen zwar alle anderen Vorfälle auf sein Konto, aber mit der tödlichen Attacke am Fluss hat er nichts zu schaffen. Obwohl er, bescheuert wie er ist, inzwischen wohl selbst glaubt, an Katjas Tod schuld zu sein. Ungefähr so hat mir das Carla jedenfalls erzählt. Aber vielleicht fragst du am besten Henry, der weiß bestimmt mehr. Oder auch Severin.«
    »Severin?«
    »Könnt’ ich mir vorstellen, ja«, sagte Réa.
    Rosa blickte auf den See, auf die mattgraue Fläche, die jetzt von einem leichten Wind gekräuselt wurde. Weder Boote noch ein Kursschiff waren zu sehen. Durch die Wolkendecke über dem See hatten ein paar Sonnenstrahlen einen Durchschlupf gefunden, denn am andern Ufer gleißte plötzlich weiß und unwirklich eine einzelne Hotelfassade.
    »Ich werde mit Severin sprechen. Und vielleicht auch mit Carla. Denn schön wäre es ja nicht, wenn ein Unschuldiger verurteilt würde.«
    »Andererseits darf man natürlich auch nicht vergessen, dass es zu keinem

Weitere Kostenlose Bücher