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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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Sitz saß. Das Stützkissen lag ungenutzt auf der Rückbank. Während der Hinfahrt hatte sie ihre Hände schützend über die Knie gelegt. Jetzt lagen sie wie griffbereite Tatzen auf dem schwarzen Stoff ihres Rockes. Eine gewisse Ungeduld ging von ihr aus. Ein Kommentar über einen Fahrer, der vor ihnen gemächlich seines Weges tuckerte, klang allerdings ganz nach der vertrauten Rosa: »Ein Hoch auf die Langsamkeit. Leb sie ruhig aus, aber bitte hinter uns.« Doch leider war an Überholen gar nicht zu denken. Rosa, die das Heck des Gelobten keinen Moment lang aus den Augen ließ, bemerkte: »Was für ein Hinterteil! Zum Verlieben, diese Rundungen.« Réa fühlte sich von dieser Schnodderigkeit irgendwie beruhigt. Umso mehr überraschte es sie, als Mama Rosa unvermittelt sagte: »Lass uns eine Pause machen. Dort vorn nach der Weidenau führt ein Feldweg zum See.« Es war weniger Bitte als Befehl.
    »Was hast du denn vor?«
    »Ich muss ein paar Züge schwimmen.«
    »Nicht doch! Das Wasser hat keine fünfzehn Grad und es regnet.«
    »Schwimmen tut meinem Rücken gut und dem Rest auch. Bist du so lieb und gibst mir mal meine Reisetasche? Da ist alles drin, was ich brauche. Es muss sein.«
    »Es wird schweinisch kalt sein!« Réa schüttelte sich. Doch sie wusste, dass gegen eine Rosa, die mit dieser Stimme sprach, nichts zu erreichen war.
    »Danke, ich bleib auch bestimmt nicht lang.«
    Réa bog in den Feldweg ein. Niemand war zu sehen. Die Dämmerung hatte den See mit einem glanzlosen grauen Tuch bedeckt. Und schon stapfte Rosa, die Reisetasche in der Hand, ans Wasser und platzierte ihr Gepäck auf einer Steinplatte, um den Inhalt zu inspizieren.
    Mit wenigen energischen Handgriffen entledigte sie sich ihrer Kleider, stand dann geisterhaft nackt, blass und hager da und steckte sich die Haare hoch. Wenig später war nur noch ein im Wasser dahintreibendes Köpfchen zu sehen. Zurück blieb Réa. Verwundert. Sie ist verrückt geworden, aber ich hab sie irre gern, dachte sie. Dann kamen ihr Shandar und ihre Hoffnung in den Sinn: Es war wohl ein schlechtes Omen, dass Rosa immer noch nichts gesagt hatte.
    Als diese plötzlich wieder weiß und langgliedrig am Ufer stand, ein Badetuch aus der Reisetasche zog, die gerade erst den langen Weg von Südfrankreich aus an den See zurückgelegt hatte, und sich damit abtrocknete, konnte Réa nicht wegschauen. Es war ein gespenstisch unwirkliches und zugleich auch komisches Bild. Die Behändigkeit, mit der die Alte wieder in ihre Kleider schlüpfte, glich bestem Slapstick aus einem alten Schwarz-Weiß-Film; stumm war er allerdings nicht, denn Rosa fluchte gotteslästerlich. Keuchend nahm sie schließlich wieder im Wagen Platz. »Danke! Aber eines kann ich dir sagen: Bis hierher ist die Klimaerwärmung noch nicht vorgedrungen.«
    »Geht es dir gut?«
    »Ja, sehr.«
    »Soll ich dir meinen Schal geben?«
    »Nicht nötig, danke. Ich habe darauf geachtet, dass meine Haare nicht nass werden. Habe den Kopf oben behalten.«
    Erst als sie wieder in die Straße zur Stadt einmündeten, fiel Réa die Mehrdeutigkeit dieser Bemerkung auf. Sie murmelte:
    »Das möchte wohl jeder.«
    »Was denn?«
    »Den Kopf oben behalten.« Réa schüttelte lange und grimmig den Kopf, als ließen sich ihre Sorgen so verscheuchen. »Mir jedenfalls wird das in den nächsten Tagen nicht leichtfallen. Da ist der Abgabetermin für Venedig. Ein Dutzend Sitzungen im Zusammenhang mit den Sans Papiers. Ich bin wieder mal genau an dem Punkt, an dem Maurice mich fragt, auf wie vielen Hochzeiten ich denn eigentlich noch herumstolpern will. Dann sind da die Theaterproben, es muss ja alles weitergehen, auch wenn die Genehmigung für den Münsterplatz noch gar nicht vorliegt. Und um meinen lieben Tensi müsste ich mich auch wieder mehr kümmern …«
    »Liebst du Shandar?«, schnitt Rosa ihr das Wort ab.
    »Heute hast du es aber wirklich drauf, mich zu überrumpeln! Ob ich …? Ach, ich weiß nicht. Ich komme doch nicht mehr dazu, mir Gedanken über meine Bedürfnisse … Rattere einfach vor mich hin, ohne mein Innenleben zu begutachten.«
    In Rosas Stimme war Ironie: »Das Begutachten nimmt dir deine Umgebung schon ab.« Um nach einer Pause sachlich anzufügen: »Aber drauf achten musst schon du. Da drin ist ja unser einziger Seismograf. Ich hätte meinen auch mehr … Also, ich kümmere mich morgen um deinen kleinen Rollstuhlfahrer. Damit du ein bisschen Zeit für dich hast. Tut’s ihm gut, wird’s auch mir guttun. Das ist so ein

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