Der Drache am Himmel
überstiegen und kleine Abschürfungen in Kauf nahmen. Auf halber Höhe fielen Maurice Handy und die Autoschlüssel aus der offenen Brusttasche seiner Jacke. Verdutzt schauten beide dem Schlüssel nach, der über die Platten schlitterte und sich in einer Mauerspalte verklemmte. »Noch mal Schwein gehabt«, rief Lilith und nahm ihm beide Gegenstände ab, um sie in ihrem kleinen Stoffbeutel zu verstauen. »Jetzt musst du mir immer folgen«, grinste sie, klemmte sich den Beutel zwischen die Zähne, um die Hände frei zu behalten, und stieg voran. Der kleine Zwischenfall hatte Maurice seltsam aufgewühlt. Aber warum eigentlich? Es war doch gar nichts passiert. Da gab es keine Symbolik. Nichts jedenfalls, was irgendetwas geändert hätte. Er folgte Lilith genauso gern, wie er ihr vorausging. Eben hangelte sie sich über eine Mauerkante auf einen Vorsprung. Sie war stark. Ihr Körper spannte sich an. Er begehrte sie. Sie war wendig. Sie waren ein Gespann. Sie gehörten zusammen. Würde sie jetzt abgleiten, er finge sie auf ohne Rücksicht auf seine Sicherheit. Und er fühlte sich glücklich. Wie heiß es immer noch war! Schweißtreibend dieser Aufstieg! Über sich sah er in den blauen Himmel, vor dessen Hintergrund sich Lilith zappelnd und mit gespannten Pobacken über ein letztes Hindernis zog. Zärtliche Bisse, zärtliche Küsse …
Oben angelangt, hatten sie es fabelhaft getroffen. Zwischen den dicken Zinnen hindurch war ihr Blick frei ins Innere des Burghofes. Drei Falkner schwangen an Stricken befestigte Beutel durch die Luft. Im engen Beinkleid, mit Lederwams und Federhut glichen sie mittelalterlichen Knappen. Über dem Geviert kreiste ein Dutzend Vögel, wie in Schwebe gehalten von der verwehten Musik.
»Entweder sind wir doch zu weit weg oder das sind gar keine Adler«, sagte Lilith gerade, als sich drei Vögel aus dem Geschwader lösten. Rasant stürzten sie hinab, krallten sich im Flug die vorbeisausenden Beutestücke und schwangen sich wieder in die Lüfte empor. Lilith zischte, Maurice lachte vor Verblüffung.
»Ich glaub, das sind Falken. Jagdfalken oder so. Die Adler kommen bestimmt später«, sagte Maurice. Und schon wiederholte sich das Spiel, bis alle Raubvögel ihren Beutel hatten. Applaus, ebenso verweht wie die Musik, drang zu ihnen herauf.
»Stark! Schön!«, begeisterte sich Maurice.
»He! Wenn das kleine Häschen sind …«
»Beutel sind es!«
»Und darin versteckt winzige süße Häschen«, rief Lilith, die auf einmal eine übermütige Lust verspürte, Maurice zu foppen, ihn aus der Ruhe zu bringen, ihn anzufallen und zu beißen. »Adler! Adler!«, schrie sie wie närrisch und ahnte insgeheim, dass sie Maurice nur provozieren wollte, um ihn zum ersten Schritt zu verleiten.
»Natürlich sind da Häschen drin!«, sagte Maurice gespielt kaltschnäuzig. »Deshalb schleudern sie ja die Beutel im Kreis herum, damit deine süßen Häschen drin komplett kirre …«
Von Liliths Blick irritiert, stutzt er. Ihr Mund deutet zwar ein Lächeln an, aber ihre Augen sind plötzlich dunkel. Sie spürt, dass sie jetzt keinen Ulk erträgt. Sie will keinen spaßenden, sie will einen ernsthaften, mutigen Maurice. Zornig blitzt sie ihn an und streift sich die Jacke ab. »Komplett kirre, ja?«, murmelt sie, während sie ihn eindringlich mustert und sich mit grimmigem Schwung ihr Shirt über den Kopf zieht. Vom Sonnenlicht überflutet steht sie da. Kein Windhauch ist zu spüren. Maurice blinzelt. So hellhäutig, so schön und verletzlich sind ihre Brüste. Jetzt ist sie bei ihm und nah sind ihre Augen. Etwas Irres ist darin. Oder ein grünes Geheimnis. Oder einfach nur Lust. Dann streift sie ihm die Jacke von den Schultern und greift an seinen Gürtel. Doch ein scheues Lächeln huscht über ihr Gesicht: »Alles, was weich ist, brauchen wir«, sagt sie, versetzt ihm kleine Bisse in die Schultern, fasst ihm ins Haar und überfällt ihn mit Küssen. Dabei nestelt sie weiter an der Schnalle, die endlich aufspringt. »Siehst du!«, wispert sie triumphierend in seinen Mund. Maurice spürt einen feinen Hauch Minze, aber auch ihre festen Hände, die ihm die Jeans über die Hüften streifen. Wieder küssen sie sich, bis Lilith Atem holen, lachen, ihn anschauen muss. »Du!«, sagt Maurice verlegen, weil Liliths Hand über seinen Slip huscht. »Allen Stoff brauchen wir«, raunt sie. »Deinen aber auch«, sagt er und könnte sie verschlingen aus Lust und verrückter Freude an ihrem Überfall. Er entledigt sich seiner Jeans und
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