Der Drache am Himmel
vorgesprochen hatte, ergingen wir uns in belanglosem Geplänkel. Er erzählte von seiner alkoholseligen Nacht mit Severin und ich über eine geplante PR-Aktion für eine meiner Verlagsneuerscheinungen. Unser Gespräch wurde von einem Kurier der Bank unterbrochen, den Carla zum Club weitergewiesen hatte. Er überbrachte Aldo einen Umschlag mit der Aufschrift Eilig/Persönlich/Vertraulich .
Bellini riss das Kuvert auf, las, blätterte, las. Warf mir einen ungläubigen Blick zu. Las weiter. Dann stemmte er sich etwas linkisch von seinem Hocker hoch und fiel mir um den Hals. »Un-fass-bar«, flüsterte er. »Das werde ich dir nie vergessen!«
Banker Loretan, der Präsident des Segelclubs, der am anderen Ende des Tresens stand, spottete: »So innig, die beiden Herren! Na, was wohl Carla dazu sagen würde?«
Aldo war geistesgegenwärtig genug zu kontern: »Lieber Lory, ich wusste die Diskretion von Bankern immer schon zu schätzen.«
Mittlerweile waren die meisten Clubmitglieder eingetroffen. Als ich den Blick einmal durch den Saal schweifen ließ, nahm ich da ein Kopfnicken, dort ein grüßendes Handzeichen wahr. Offensichtlich hatte mir die Leistung bei der Regatta einige Wertschätzung eingebracht.
»Ich muss jetzt nach vorn«, sagte Aldo. »Aber nachher … bitte, dann feiern wir. Weißt du eigentlich, dass ich nicht übel Lust hätte, dich vorzuschlagen, wenn es an die Wahl geht?« Er war dermaßen euphorisch, dass er gar nicht merkte, wie unbedacht seine Äußerung war.
Loretan eröffnete die Versammlung vor lückenlos besetzten Stuhlreihen; manche der Anwesenden mussten sogar stehen. Er widmete seiner Einleitung und dem Rechenschaftsbericht viele gepflegte Wendungen, führte aber straff und zeitsparend durch die Tagesordnung. Zu keinem Punkt gab es Widerspruch. Wenn sich jemand zu Wort meldete, dann höchstens, um dem Vorstand für die im vergangenen Geschäftsjahr geleistete »exzellente« Arbeit zu danken.
Dann stand die Wahl für ein Ersatzmitglied im Vorstand an, die nach dem Wegzug eines gewissen Dr. Konrad Lange, der dem Leitungsgremium offenbar seit Jahren angehört hatte, nötig wurde.
Mit den Worten »Bitte, André« forderte Loretan einen jungen Mann auf, den Kandidaten vorzustellen, »soweit Pfarrer Belzer überhaupt noch vorgestellt werden muss«. Er sei bekanntlich von einigen verdienten Clubmitgliedern portiert worden. André, ich sah ihn an diesem Abend zum ersten Mal, machte es kurz: Wenn es jemand verdient habe, der Clubleitung anzugehören, dann doch gewiss der beste Segler. Nur so bleibe der Bellini-Pokal unserem Vorstand erhalten, scherzte er. Ins Lachen mischten sich auch einige verwunderte Zurufe – offenbar war nicht allen bekannt, dass der Zieleinlauf der letzten Regatta mittlerweile geklärt war. Loretan erläuterte die Zusammenhänge und wies dabei auf mich: Henry Lauterbach habe erklärt, dass es keinen Regelverstoß gegeben habe. »Wir werden anschließend noch kurz informieren.«
Nicht sehr engagiert zählte André die Verdienste des Kandidaten auf. Abgesehen von seiner Leidenschaft fürs Segeln verfüge er als Münsterpfarrer über beste Kontakte in der Stadt und den Idealen der Kameradschaft verpflichtet sei er auch.
»Und warum bringt der Vorstand keinen eigenen Vorschlag?«, rief jemand. Das sei neue Vereinspolitik, sagte Loretan. Der Vorstand wolle das Gewicht der Mitgliederversammlung stärken: »Demokratie hat noch keinem geschadet. Wenn alle mitdenken, kommt es am besten …« Im Saal kam Geraune auf. »Glücklich ein Club, der aus so vielen kompetenten Mitgliedern besteht, Frauen natürlich eingeschlossen, kompetent als Wähler und Kandidaten.« In diesem Moment wurde mir unwohl. Irgendetwas stimmte hier nicht. Derweil erklärte Loretan auf dem Podium das Prozedere. Die Wahl sei wie immer schriftlich und geheim, nötig sei die absolute Mehrheit.
Die anwesenden stimmberechtigten Clubmitglieder beschrieben die ausgeteilten Kärtchen, falteten sie zusammen und legten sie in zwei durch die Reihen zirkulierende Schalen. Drei Mitglieder des Vorstands zogen sich zum Auszählen zurück.
Als sie wieder auf dem Podium Platz genommen hatten, bat Loretan um Ruhe und sagte in die augenblicklich gespannte Stille hinein: »Ich darf das Ergebnis bekannt geben. Von 111 Stimmkarten waren 20 leer. Als ungültig werten wir die nicht ganz aktuelle Willensbekundung eines ehrenwerten Clubmitglieds, das sich für Salvatore Bellini ausgesprochen hat. Gültig sind also 90 Stimmen. Die
Weitere Kostenlose Bücher