Der Drache am Himmel
vorenthalten? Sie sind köstlich und eigentlich süß, aber nur eigentlich. Ein klein wenig mehr und deine Lust auf Süße würde gesättigt. Aber genau dieses Restchen bekommst du nicht …«
»Ach komm, lass sein. Ich möchte jetzt gehen. Und zwar sofort und nicht nur eigentlich.« Und Severin machte, ohne abzuwarten, das Licht aus. So war die verstörende Erkenntnis, die er eben gemacht hatte, erträglicher: Eigentlich ist es gut, dass ich mich Aldo nicht anvertraut hatte. Wüsste er davon, wäre ich nicht mehr frei … Eigentlich will ich gar keinen eingeweihten Freund.
4
Kuss
Aus Henrys Aufzeichnungen
G leich nach der Regatta hatte ich einen Termin bei der Kommerzbank, sodass ich die Mutmaßungen über Severins Regelverstoß verpasste. Da ich ihm den Sieg aber vollauf gönnte, spielten sie für mich auch keine Rolle.
Bei der Besprechung ging es um die versprochene Fürsprache in der Sache Création Bellini. Die beiden Banker empfingen mich zuvorkommend, wenn auch besorgt. Auf der polierten Tischfläche vor ihnen lag der Report der Unternehmensberater. Von Aldo wussten die Herren, dass ich bei Gelegenheit als sein Repräsentant vorsprechen würde.
Wie ich zu dieser Rolle käme, wollten sie wissen.
»Aus Freundschaft.«
Das sei respektabel, sagten sie und fügten ein unausgesprochenes Aber hinzu. Natürlich stünden meine Qualitäten als Geschäftsmann außer Frage. Meine Liquidität sei in den letzten achtzehn Monaten ja geradezu explodiert. (Grund dafür war der Verkauf von Lizenz- und Filmrechten.) Sie hielten große Stücke auf mich und, ja, falls ich bereit sei, einen Platz im Aufsichtsrat der Création Bellini einzunehmen …
»Das kann ich Aldo Bellini nie und nimmer vorschlagen«, stellte ich klar und ihnen sogleich auch vor, was ich anstrebte: Zeitgewinn für Herrn Bellini.
»Nun, wir haben gewisse Zweifel, ob er einen solchen zu nutzen wüsste«, sagte einer der Kommerz-Banker und klopfte vielsagend auf den Report.
»Ich werde mir erlauben, ihn zu beraten.« Ich klopfte ebenfalls auf das Dossier. »Möglichkeiten für einen Turn-around gibt es meines Erachtens durchaus. Für einen solchen Umbau braucht das Unternehmen allerdings einen neuen Kreditrahmen.« Ich erwähnte ihre langjährige Verbindung zum Hause Bellini, erinnerte an gute Jahre mit hohen Gewinnmargen und deutete en passant an, dass sie ja glücklicherweise nicht den Ruf hätten, bloß eine Schönwetterbank zu sein. Natürlich durchschauten sie mich. Ihre Blicke blieben ablehnend. Dann skizzierte ich einige Ideen zur Neuausrichtung und wies auf Kalkulationsfehler der Unternehmensberater hin. Sie wirkten immer noch skeptisch, erstmals aber interessiert. Schließlich umriss ich Chancen und Risiken und nannte die erforderliche Kredithöhe. »Sofern Sie gewährleisten, dass Herr Bellini nichts davon erfährt, werde ich – natürlich nur im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten – für einen Teil davon bürgen.«
Die beiden im bankgrauen Tuch sahen einander konsterniert an, in der Hoffnung, im Blick des anderen ein Signal für eine schlüssige Reaktion zu finden. Es gab aber keines und von da an auch keine gemeinsame Position mehr. Das änderte viel. Wir besprachen uns zwei Stunden lang, kamen nicht viel weiter und näherten uns doch stetig der Erkenntnis, dass ein Szenario ohne Kredit viel riskanter wäre – für die Bank. Als ich ging, war beschlossen, dass Aldo gleichsam Bewährung bekam: 16 Millionen Zwischenkredit auf zwei Jahre. Daraus ließ sich etwas machen. Ich überließ es meinen Gesprächspartnern, Herrn Bellini zu informieren. Beim Handschlag zum Abschied versicherten sie mir, dass meine Bürgschaft nicht nötig sei. Da sei ihre Ehre vor.
Natürlich würde Aldo begeistert sein. Ich hatte ihm einen guten Dienst erwiesen. Schätzte ich aber auch die Folgen richtig ein? Er würde zwei dramatische Jahre vor sich haben. Was würde er daraus machen? War er dem Druck gewachsen? Ein schneller Konkurs hätte ihn schlimmstenfalls zum armen Mann gemacht. Was würde seine Chance aus ihm machen? Irgendwie verstimmten mich meine Zweifel. Ein treuer, verlässlicher Freund wollte ich doch sein. Gutes tun, um Gutes zu bewirken. Inzwischen weiß ich, dass Hilfestellungen äußerst heikle Operationen sind.
In einer halben Stunde würde die Clubversammlung beginnen – allgemeine Geschäfte, Vorstandswahl, Pokalübergabe. Ich stand neben Aldo an der Bar. Da ich ihm nicht mitteilte, dass ich bereits bei seiner Bank
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