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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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gar nichts verleitet!«
    Aldo war sehr überrascht. Noch überraschter war aber ich ob seines Gegenzuges: Er zog meinen Kopf an sich, drückte mir einen schmatzenden Kuss auf die Stirn und sagte: »He, locker!« Ich muss zugeben, dass ich mich sofort besänftigt fühlte.
    Bevor ich nach Hause fuhr, verabredeten wir uns für den kommenden Dienstag, um die neuen Möglichkeiten für die Création Bellini zu besprechen.
    Barbara hatte bei einer Freundin aus dem Tennisclub einen Canastaabend verbracht, war aber offenbar schon wieder zurück, denn aus dem ersten Stock vernahm ich das Plätschern der Dusche. Ohne im Erdgeschoss das Licht anzumachen, ging ich in den Wohnraum. Im Kamin war Glut, was mich wunderte. Ob meine Stieftochter Lilith …? Jedenfalls lag ihre Jacke auf dem Teppich. Da bemerkte ich draußen auf der Terrasse zwei Gestalten, tief im Kanapee versunken: Lilith und Maurice, Réas Sohn! Sie kauerten einander gegenüber wie in gespiegelter Haltung, beide in ihren Ecken, die aufgestellten Knie mit den Armen umschlungen. Um Liliths Schultern hing eine viel zu große Jacke. Im Schein der Gaslaterne sah ich ihre Münder, die sich bewegten, verstand aber kein Wort. Ich wollte mich sofort wieder zurückziehen und konnte es nicht. Zu anrührend war das Bild, das sie boten: zwei, die ganz bei sich und zusammen waren, langmähnig, zärtlich und verschworen. Irgendwie beschämte es mich, dass ich ihre Annäherung so gar nicht mitbekommen hatte. Und je länger ich hinsah, desto einsamer und wehmütiger fühlte ich mich. Ich war nichts weiter als ein seltsamer Gast in diesem Haus, in dieser Stadt. Unsinnig genug, aber einen kurzen Moment schien mir, dieses Liebespaar habe mich gerade meiner Identität beraubt. Dass ich aseptisch sei, wie Lilith behauptet hatte, war gar nicht mal so falsch. Etwas fehlte mir … Barbaras Ruf aus dem oberen Stock riss mich aus meinen Gedanken.
    Mit Kissen im Rücken und in ihre mit gelbem Satin überzogene Decke gehüllt saß sie im Bett und strahlte mich an: »Ich hatte heute unverschämtes Glück. Hab fast alle Partien gewonnen. Und wie war’s bei dir?«
    Ich gab ihr einen Kuss und setzte mich zu ihr auf die Bettkante. Sie nahm meine Hand. »Komm ins Bett, mein Kanadier. Soll ich dir mal verraten, wieso ich heute so einen Riesenerfolg hatte?« Sie wartete meine Antwort nicht ab, sprach sofort weiter. »Immer wenn ich ganz dringend eine bestimmte Karte brauchte, habe ich ganz fest an dich gedacht. Und schon hatte ich sie.« Barbara lachte und ich staunte, mit wie wenigen Worten es ihr gelang, meine düsteren Gedanken zu verscheuchen. Die Vorstellung, einfach ein guter Kartengeist sein zu dürfen, war wohlig und verlockend. Erleichtert spürte ich, dass mich der wirre Tag entließ. Im Übrigen war Barbara zweifellos eine wunderbare Frau. Ihre Augen verdunkelt vor Begehren, verfänglich der Blütenduft ihrer Haut, wie Honig der goldgelbe Satin über ihren Brüsten – man muss wissen, dass Barbara die erste Frau meines Lebens ist. Trotz ihres verheißungsvollen Körpers – oder vielleicht gerade deswegen – schweiften meine Gedanken ab. In meinen kanadischen Jahren, um sie so zu nennen, hatte ich mich auch mit den Schriften des berühmten Augustinus befasst, der auch heute noch als einer der großen Kirchenväter gilt. Für ihn waren Sexualität, Sünde und Satan ein und dasselbe: Die todbringende Süße der Begierden nutze der Teufel, um den Menschen in seine Schlingen zu locken … Wie absurd, dass ich mich gerade jetzt daran erinnerte! Aber es spielte keine Rolle. Es stimmte einfach nicht; wie fast nichts stimmte, was theologischen Gehirnen zum sogenannten Bösen eingefallen war.
    »Bei Pfarrers leidet man höllisch!« Mit diesen Worten empfing mich Aldo im Billardzimmer seines Hauses. Wenige Minuten zuvor hatte ihn Severin angerufen, völlig verstört. Er hatte den Lehrstuhl, den er sich so gewünscht hatte, nicht bekommen. »Ich konnte ihn kaum verstehen, so gepresst klang seine Stimme.«
    Mir stand sofort Severin vor Augen, wie er sich nach der Demütigung im ersten Wahlgang den Nasenrücken gerieben hatte. Und nun noch dieser Kinnhaken!
    »Wir sollten zu ihm fahren!«, schlug ich vor.
    »Er ist nicht zu Hause, hat sich für zwei, drei Tage ins Waldhaus bei St. Moritz zurückgezogen, auch wegen Réa.«
    »Weil er sich vor ihr schämt? Nicht doch!«
    »Hat er dir gegenüber denn nie davon gesprochen? Ich meine von seiner Sorge, ihre Aktionen könnten ihm zum Nachteil

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