Der Drache am Himmel
gereichen?«
»Wegen des Kirchenasyls? Das ist doch Quatsch. Als ob das die Interessen einer Universität berühren würde!«
Severin hatte tatsächlich einmal angedeutet, der Dekan sei leider auch Mitglied der Kirchenleitung des Bezirks, »einem erzkonservativen Klüngel korrekter Herren«. Aber ich hatte seinen Befürchtungen kein Gewicht beigemessen.
»Jedenfalls beklagte er sich am Telefon auch über Réa. Offenbar hat sie ihm Gelder für die Sans Papiers abgeschwatzt. Und was tut Severin, unser Pechvogel? Geht ausgerechnet an einen denkbar ungeeigneten Topf, einen für lesbische, ledige, stillende Mütter von zehn Bambini oder so, was weiß ich. Jedenfalls nicht für schwarze Nichtstuer ohne klare Herkunft.«
»Und daran hat jemand Anstoß genommen?«
»Natürlich. Wenn’s dem Teufel passt, kommt so was immer dem Falschen zu Ohren. Da muss nur ein besorgter Revisor die Kirchenoberen informieren. Denn wenn denen etwas heilig ist, dann der Verwendungszweck ihrer Fleischtöpfe. Severin ist jedenfalls fest davon überzeugt, dass das den Ausschlag gegeben hat.«
So redete Aldo und trug selbstvergessen an seinem Queue Kreide auf, die er gleich wieder wegschmirgelte. Der Billardtisch war noch mit grünem Brokat zugedeckt. Und an den Wänden hingen doch tatsächlich in Öl gemalte Porträts von Bellini I und Bellini II, Salvatore und Aldo. Die sollten wohl eine Ahnengalerie darstellen. Eine überblickbare Dynastie … Jedenfalls war der Alte präsent. Bei einem früheren Besuch hatte mir Aldo verraten, sein Vater habe den Spieltisch von einem sizilianischen Ehrenmann geschenkt bekommen. In unserem ersten Spiel hatte ich mich blamiert. Als Aldo seine letzte Kugel versenkte, lagen noch acht von meinen auf dem Filz. Aldo hatte mich getröstet. Billard sei so ziemlich die einzige Fertigkeit, die er beherrsche. Das habe sogar sein Vater anerkennen müssen.
»Und? Wie hat er die Niederlagen ertragen?«
»Ich hätte ihn vom Tisch gefegt. Aber leider ist es nie zu einer Partie gekommen«, hatte Aldo gesagt.
Bei dieser Erinnerung fiel mir ein, dass ein Bankrott für Aldo auch den Verlust dieser Villa mitsamt Billardtisch und Ahnengalerie bedeuten würde. Ich schaute ihn an. Er schmirgelte immer noch an der Kreide herum. Den Stock hielt er jetzt näher vor den Augen, als nehme er einen Feinschliff vor.
Eigentlich wollten wir ja den Bescheid der Hausbank besprechen und Strategien entwickeln, wie der Bellini-Dampfer wieder flottzumachen sei. Stattdessen sprachen wir über Severin und seinen Karriereknick, hantierte er mit Kreide, verlor ich mich ans Sinnieren. Vielleicht hatte ich ihm mit der ausgehandelten Frist ja doch einen Bärendienst erwiesen? Denn obwohl er sich munter gab, wirkte er erschöpft. Sah er in den zwei Jahren Aufschub überhaupt eine Chance? Auf Aldos Seidenschlips war, wie ich erst jetzt bemerkte, ein Fleck. Erstaunlich! Eine solche Nachlässigkeit passte überhaupt nicht zu ihm. Vielleicht war ihm die Frist nur eine Last? Und die Frage schoss mir durch den Kopf, wem unser Schweigen eher zur Pein würde. Sofort entschloss ich mich, es zu brechen. Doch er kam mir zuvor.
»Apropos Réa, weißt du eigentlich, dass sie dabei ist, sich zur Expertin für Textildruck zu mausern? Dass sie dazu die Zeit findet, bei ihrem ganzen sonstigen Engagement …«
Überrascht war ich nicht. Bei einem unserer letzten Treffen wegen ihrer Aktionswoche war Réa mit einer riesigen Schachtel voller Stoffe aufgetaucht, die sie von ihren Sans Papiers hatte. Die Qualität der Muster konnte ich nicht beurteilen, aber ich hatte ihr geraten, damit zu Aldo zu gehen.
»Henry, das wird was! Réa hat doch diese Kontakte zu den Ghanaern. Der eine hatte vor seiner Flucht eine kleine Stoffmanufaktur. Von dem brachte sie mir einen Packen Stoffmuster. Und jetzt halt dich fest, Henry! Ich fliege nächste Woche mit zwei Textilingenieuren nach Ghana.« Jetzt geriet Aldo in noch größeren Eifer: »Die Materialien sind von erstklassiger Qualität! Absolute Egalität der Prints, auch im Mikrobereich absolut keine Farbabweichung, absolut einwandfrei der Fall, absolut präzise der Randschnitt!«, schwärmte er. Er erklärte mir die Bedeutung der Ausdrücke und ich begriff, dass ihn der Blick in die Schachtel absolut beeindruckt hatte. »Das wäre in Marokko schlechthin unmöglich!« Auch darüber klärte er mich auf. Die Bellinis verfügten über Erfahrungen mit einer Fabrikationsstätte in der Nähe von Rabat. Salvatore hatte dort Ledertaschen
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