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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Toren dehnte sich das bleiche Band der Weldhelmstraße, das sich zu Simons Rechter langsam nordwärts in die Berge schlängelte und zu seiner Linken den Ymstrecca durch das Ackerland unter dem Swertclif begleitete, vorbei an Falshire am gegenüberliegenden Ufer und endlich weiter in die Grasländer des Ostens.
    Es war anzunehmen, dass die Städte an der großen Straße die ersten Orte waren, an denen die Erkyngarde einen Flüchtling suchen würde. Zudem führte ein großes Stück der Straße durch die Höfe des Hasutals, wo Simon, falls er den Weg verlassen musste, nur schwer ein Versteck finden würde.
    Also kehrte er Erchester und der einzigen Heimat, die er je gekannt hatte, den Rücken und humpelte von der Begräbnisstätte fort und auf die fernen Grashügel zu. Seine ersten Schritte lösten einen schmerzhaften Ruck in seinem Hinterkopf aus, aber er wusste, dass es für ihn am besten war, wenn er die Schmerzen an Geist und Körper noch eine Zeitlang unbeachtet ließ und den Hochhorst lieber so weit wie möglich hinter sich brachte, solange es noch dunkel war; über die Zukunft konnte er sich Sorgen machen, wenn er eine sichere Stelle zum Schlafen gefunden hatte.
    Als der Mond über den warmen Himmel der Mitternacht zutrieb, wurden Simons Schritte immer schwerer. Die Begräbnisstätte schien kein Ende zu nehmen – tatsächlich hatte der Boden angefangen, sich über den sanften Buckeln der äußeren Grashügel zu heben und zu senken, während Simon immer noch durch die verwitterten Steinzähne wanderte, von denen manche einsam und aufrecht dastanden, andere sich zueinander lehnten wie alte Männer in greisenhaftem Gespräch. Er schlängelte sich zwischen eingesunkenen Säulen durch und stolperte über den unebenen, mit kleinen Grasbuckeln übersäten Grund. Jeder Schritt wurde Simon zur Anstrengung, als watete er durch tiefes Wasser.
    Torkelnd vor Müdigkeit, taumelte er einmal mehr über einenversteckten Stein und stürzte schwer zu Boden. Er wollte aufstehen, aber seine Glieder fühlten sich an wie nasse Sandsäcke. Noch ein kleines Stück kroch er auf allen vieren weiter, dann rollte er sich auf dem schrägen Abhang eines grasigen Grabhügels zusammen. Etwas drückte ihn im Rücken, und er drehte sich ungeschickt zur Seite, was aber kaum weniger unbequem war, weil er nun auf Morgenes’ gefaltetem Manuskript lag, das in seinem Gürtel steckte. Die Augen vor Erschöpfung halb geschlossen, griff er hinter sich und suchte den ursprünglichen Stein des Anstoßes. Es war ein Stück Metall, dick mit Rost bedeckt und durchlöchert wie wurmzernagtes Holz. Er wollte es wegräumen, aber es steckte im Erdboden fest. Vielleicht war der Rest, woraus auch immer er bestehen mochte, tief im Boden des mondbereiften Hügels verankert – eine Speerspitze vielleicht? Die Gürtelschnalle oder Beinschiene irgendeiner Kleidung, deren Eigentümer längst das Gras nährte, auf dem er gelegen hatte? Einen trüben Moment dachte Simon an all die Körper, die hier tief unter der Erde ruhten, an das Fleisch, das einmal voller Leben gewesen war, nun aber in schweigender Finsternis moderte.
    Als ihn endlich der Schlaf übermannte, war ihm, als säße er wieder auf dem Kapellendach. Unter ihm dehnte sich die Burg … aber diese Burg bestand aus feuchtem, bröckelndem Erdboden und blinden, weißen Wurzeln. Die Menschen dort schliefen in einem fort und wälzten sich im Traum unruhig hin und her, wenn sie Simons Schritte über ihren Köpfen hörten …
    Jetzt lief er – oder träumte es zumindest – einen schwarzen Fluss entlang, der lärmend plätscherte, aber nicht das geringste Licht spiegelte, als bestünde er aus flüssigen Schatten. Nebel umwaberte den Jungen, und er konnte von dem Land, durch das er ging, nichts erkennen. In der Finsternis hinter sich vernahm er viele Stimmen; ihr Gemurmel vermischte sich mit der halbverschluckten Stimme des schwarzen Wassers, kam näher, rauschte wie Wind.
    Weder Nebel noch Dunst verhüllten die andere Seite des Flusses. Das Gras auf dem tiefer liegenden Ufer bot sich weit und offen seinem Blick dar; in der Ferne stieg ein düsterer Erlenhain bis an den Rand der Berge hinauf. Das ganze Land jenseits des Flusses wardunkel und feucht – wie zur Morgen- oder Abenddämmerung; nach kurzer Zeit wurde ihm bewusst, dass es Abend sein musste, denn in den Hügeln, die sich nahe an den Fluss lehnten, erklang das ferne, einsame Lied der Nachtigall. Alles schien erstarrt und unveränderlich.
    Er spähte über das

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