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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Furcht von neuem auf ihn niedersenkte. Wieso standen sie so unbeweglich da? Waren es überhaupt lebende Menschen oder unheimliche, aus Holz geschnitzte Bergdämonen?
    Eine der Gestalten näherte sich dem Feuer und stocherte mit einem Stock darin herum. Als die Flammen aufloderten, sah Simon, dass zumindest dieser Mann zu den Sterblichen gehörte. Vorsichtig kroch er weiter, bis er unmittelbar vor dem äußeren Steinring lag. Der rote Feuerschein ließ einen Augenblick Metall unter dem Mantel der Simon am nächsten stehenden Gestalt aufblitzen – der Hirte trug ein Kettenhemd.
    Der weite Nachthimmel schien sich auf ihn zu legen wie eine schwere Decke, die ihn auf dem Boden festhielt. Alle Männer, die er sah – er zählte etwa zehn –, waren gepanzert. Sie gehörten zur Erkyngarde, das wusste er jetzt genau. Bitter verfluchte er sich selber, weil er direkt auf ihr Feuer zugelaufen war, wie eine Motte sich in die Kerzenflamme stürzt.
    Warum bin ich immer so ein verdammter, verdammter Esel?
    Ein dünner Nachtwind sprang auf und peitschte die hohen Flammen wie brennende Flaggen. Die in Mantel und Kapuze gehüllten Wachen wandten fast gleichzeitig die Köpfe, langsam und beinahe widerwillig. Sie starrten in die Dunkelheit am Nordrand des Berges.
    Dann hörte es Simon auch. Ein schwaches Geräusch übertönte den pfeifenden Wind, der das Gras Wellen schlagen ließ und sanft die Bäume schüttelte. Unmerklich wurde es lauter: das schmerzliche Kreischen hölzerner Wagenräder. Aus der Finsternis löste sich einmassiges Gebilde. Die Männer wichen vor ihm zurück, um sich auf der Simon zugewandten Seite des Feuers zusammenzudrängen. Noch hatte niemand ein Wort gesprochen.
    Unbestimmte, bleiche Formen, die langsam zu Pferden geronnen, erschienen am Rande des Feuerscheins; hinter ihnen schälte sich ein großer, schwarzer Wagen aus der Nacht. Zu beiden Seiten gingen mit schwarzen Kapuzen verschleierte Wesen, insgesamt vier, im gleichen würdevollen Leichenzugschritt. Im flackernden Licht wurde oben auf dem Wagen eine fünfte Gestalt sichtbar, die über dem Gespann aus eisweißen Hengsten kauerte. Dieser Fünfte schien auf seltsame Weise größer als die anderen und dunkler, als trüge er einen Mantel aus Finsternis, und gerade seine reglose Ruhe schien von verborgener, brütender Macht zu künden.
    Noch immer rührten sich die Wachen nicht, sondern standen starr und abwartend da. Nur das dünne Quietschen der Wagenräder durchschnitt die Stille. Simon, wie angewurzelt, spürte einen kalten Druck in seinem Kopf, eine nagende Umklammerung in den Eingeweiden.
    Ein Traum, ein böser Traum … Warum kann ich mich nicht bewegen?
    Der schwarze Wagen und seine Begleiter kamen, sobald sie die Grenze des Feuerscheins erreicht hatten, zum Halten. Eine der vier Gestalten, die den Wagen zu Fuß begleitet hatten, hob den Arm. Der schwarze Ärmel fiel zurück und enthüllte ein Handgelenk samt Hand, beide so dünn und weiß wie Knochen.
    Das Wesen sprach mit kalter Stimme, tonlos wie knackendes Eis.
    »Wir sind gekommen, den Vertrag zu erfüllen.«
    Unter den Wartenden entstand Bewegung. Ein Mann trat vor.
    »Wie wir.«
    Simon, der wie gebannt den Fortgang dieser Wahnvorstellung verfolgte, war in keiner Weise überrascht, Pryrates’ Stimme zu erkennen. Der Priester streifte die Kapuze zurück. Feuerschein zeichnete die hohe Wölbung seiner Stirn nach und unterstrich die skelettartigen Höhlen seiner Augen. »Wir sind hier … wie es vereinbart wurde«, fuhr er fort – war da ein winziges Zittern in seiner Stimme? »Habt ihr gebracht, was versprochen war?«
    Der knochenweiße Arm schwang zurück und deutete auf den hinter ihm aufragenden Wagen.
    »Das haben wir. Habt auch Ihr das Versprochene?«
    Pryrates nickte. Zwei von den Wachen bückten sich und wuchteten etwas Schweres aus dem Gras, wo es gelegen hatte. Sie schleppten es herbei und ließen es dann unsanft vor die gestiefelten Füße des Alchimisten fallen. »Hier liegt es«, erklärte Pryrates. »Zeigt nun die Gabe eures Meisters.«
    Zwei der Verhüllten traten zu dem Wagen und hoben vorsichtig einen langen, dunklen Gegenstand herunter. Als sie ihn herantrugen, wobei jeder ein Ende hielt, erhob sich jäh ein beißender Wind, der über den Berggipfel pfiff. Die schwarzen Gewänder wogten, und die Kapuze der vordersten Gestalt flog zurück.
    Ein Schneegestöber aus schimmernd weißen Haaren quoll hervor. Das nur kurz sichtbare Antlitz war feingeschnitten wie eine Maske aus

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