Der Drachenbeinthron
Musik, begann sich der Junge auf sie zuzubewegen. Plötzlich stolperte auf der sonnenfleckigen Straße, keine zehn Schritte von ihm entfernt, einer der ihm an nächsten laufenden Männer, dem sich ein herunterhängendes Band vor die Augen geschoben hatte. Ein Gefährte half ihm, sich zu befreien, und als er den goldenen Streifen löste, verzog sich sein bärtiges Gesicht zu einem breiten Grinsen. Aus irgendeinem Grund hielt dieses Blitzen lachender Zähne Simon zurück – nur einen Schritt, bevor er sein Baumversteck verlassen hätte.
Was mache ich denn? , schalt er sich. Beim ersten Ton freundlicher Stimmen springe ich schon hervor? Diese Leute hier feiern ein Fest, aber auch ein Hund spielt mit seinem Herrn – und wehe dem Fremden, der unangemeldet zu ihm tritt.
Der Mann, den er beobachtet hatte, rief seinem Begleiter etwas zu, das Simon bei all dem Lärm nicht verstehen konnte, wandte sich dann um, hielt ein Band hoch und schrie einem Dritten etwas entgegen. Der Baum holperte weiter, und als die letzten Nachzügler der Prozession vorbeigelaufen waren, schlich Simon auf die Straße hinaus und folgte ihnen, eine dünne, in Lumpen gehüllte Gestalt, die aussah wie der klagende Geist des Maiabaumes, der sehnsüchtig seiner geraubten Wohnstatt hinterherlief.
Die schwankende Parade bewegte sich auf einen kleinen Hügel hinter der Kirche zu. Auf den breiten Feldern verschwand jetzt schnell der letzte Sonnensplitter; der Schatten des Baumes auf dem Dachfirst der Kirche lag wie ein langes Messer mit gebogenem Griff auf der Anhöhe. Simon, der nicht wusste, wie es weitergehen sollte,blieb ein gutes Stück hinter der Gruppe zurück, die den Baum die kleine Steigung hinaufschleppte und dabei immer wieder stolperte oder sich in den frischen Trieben der Dornenhecke verfing. Oben sammelten sich schwitzend und unter lauten Scherzen die Männer und stellten den Stamm aufrecht in ein bereits ausgehobenes Loch. Dann richteten einige den schwankenden Stamm gerade, während andere den Fuß mit Steinen abstützten. Endlich traten sie zurück. Der Maiabaum wackelte ein bisschen und kippte leicht nach der einen Seite, was die Menge zu erschrecktem Auflachen veranlasste. Aber er blieb – nur leicht außerhalb der Lotrechten – stehen; großer Jubel erhob sich. Auch Simon im Schatten der Bäume stieß einen kleinen glücklichen Laut aus und musste sich sogleich wieder verstecken, weil es ihm die Kehle zuschnürte. Er hustete, bis schwarze Punkte vor seinen Augen tanzten: Es war nun fast einen ganzen Tag her, dass er ein Wort gesprochen hatte.
Mit tränenden Augen schlich er wieder hervor. Am Fuß der Anhöhe hatte man ein Feuer entzündet. Der Baum, dessen höchste Spitze vom Sonnenuntergang gefärbt war und unter dem die Flammen tanzten, sah aus wie eine an beiden Enden brennende Fackel. Von den Essensdüften unwiderstehlich angezogen, näherte Simon sich den alten Männern und Weibern, die an der Steinmauer hinter dem Kirchlein Tücher ausbreiteten und Abendessen daraufstellten. Er war überrascht und enttäuscht, wie mager die Vorräte waren – eine geringe Belohnung für den Festtag und, weit schlimmer, eine noch viel geringere Aussicht für ihn, sich unbemerkt mit ein paar Bissen davonstehlen zu können.
Die jüngeren Männer und Frauen hatten angefangen, um den Maiabaum herumzutanzen und einen Kreis zu bilden. Aber weil, neben anderen Widrigkeiten, manche betrunken den Hügel hinunterpurzelten, schloss sich der Ring nie ganz; die Zuschauer johlten, wenn die schwindlig vorüberwirbelnden Tänzer vergeblich die Hand ausstreckten, um eine andere Hand zu ergreifen. Einer nach dem anderen taumelten die Feiernden vom Tanz fort, wobei sie torkelten und manche den niedrigen Hügel herunterrollten, um dann unten liegen zu bleiben und unbändig zu lachen. Simon sehnte sich von ganzem Herzen danach, dabei sein zu dürfen.
Bald saßen überall im Gras und an der Mauer kleine Gruppen von Menschen. Die oberste Spitze des Baumes war ein Rubinspeer, in dem sich die letzten Strahlen der Sonne fingen. Einer der Männer am Fuß des Hügels griff zu einer Schienbeinflöte und begann zu spielen. Nach und nach wurde es still, nur manchmal war ein Flüstern oder ein gelegentliches Aufquieken unterdrückten Gelächters zu hören. Schließlich hüllte die atmende blaue Dunkelheit alle ein. Die klagende Stimme der Flöte schwang sich in die Luft wie der Geist eines schwermütigen Vogels. Eine schwarzhaarige junge Frau mit schmalem Gesicht stützte
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