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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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seiner Schilderung derart begeistert mit den Armen, dass Simon fürchtete, er werde von der Bank herunterfallen – knallte der Schankwirt ganz laut einen Bierkrug auf den Tisch. Cadrach, mitten im Ausruf unterbrochen, schaute auf.
    »Nun, guter Herr?«, erkundigte er sich und hob eine buschige Braue. »Und was können wir für Euch tun?«
    Der Wirt stand mit verschränkten Armen da, eine misstrauische Miene im verkniffenen Gesicht. »Hab Euch bis jetzt Kredit gegeben, weil Ihr ein Mann des Glaubens seid, Vater«, antwortete er, »aber ich muss jetzt bald schließen.«
    »Ist das alles, was Euch fehlt?« Über Cadrachs rundliches Gesicht huschte ein schnelles Lächeln. »Wir sind gleich bei Euch und rechnen ab, guter Mann. Wie war noch Euer Name?«
    »Freawaru.«
    »Nun, dann habt keine Sorge, wackerer Freawaru. Lasst den Jungen und mich noch diese Krüglein austrinken, dann könnt Ihr Euch schlafen legen.« Mehr oder weniger zufriedengestellt, nickte Freawaru in seinen Bart und stapfte davon, um den Burschen anzubrüllen, der den Bratspieß drehte. Mit einem langen, geräuschvollen Schluck leerte Cadrach seinen Becher und wandte dann sein Grinsen Simon zu.
    »Komm, trink aus, Junge. Wir wollen den Mann nicht warten lassen. Ich gehöre zum Orden der Granisier, weißt du, und empfinde Mitgefühl mit dem armen Kerl. Der gute Sankt Granis ist unter anderem der Patron der Gastwirte und Trunkenbolde – eine durchaus natürliche Zusammenstellung.«
    Simon lachte vergnügt und leerte den Becher, aber als er ihn niedersetzte, zupfte mit schmalen Fingern eine Erinnerung an ihm. Hatte ihm Cadrach damals, als er ihm in Erchester das erste Mal begegnete, nicht erzählt, dass er zu einem anderen Orden gehörte? Irgendetwas mit v? Vilderivaner?
    Der Mönch stocherte mit einem Ausdruck tiefer Versunkenheit in den Taschen seiner Kutte herum, sodass Simon die Frage nicht weiter verfolgte. Gleich darauf zog Cadrach einen ledernen Geldbeutel heraus und ließ ihn auf den Tisch fallen; der Beutel blieb stumm – kein Klirren, kein Klimpern. Cadrachs glänzende Stirnlegte sich in bestürzte Falten. Er hielt die Börse ans Ohr und schüttelte sie langsam hin und her. Immer noch kein Laut. Simon riss die Augen auf.
    »Ach, Junge, Junge«, begann der Mönch zu klagen, »schau dir das an! Ich bin heute stehen geblieben, um einem armen Bettler zu helfen – zum Wasser hab ich ihn hinuntergetragen und ihm die blutenden Füße gewaschen –, und sieh dir an, wie er mir meine Freundlichkeit gelohnt hat.« Cadrach drehte den Geldbeutel um, sodass Simon das gähnende Loch sehen konnte, das in die Unterseite geschlitzt war. »Wunderst du dich noch, warum ich manchmal Angst um diese Welt habe, junger Simon? Ich habe dem Mann geholfen, und er – ja, in der Tat, er muss mich beraubt haben, noch während ich ihn trug.« Der Mönch stieß einen tiefen Seufzer aus. »Hm, Junge, ich fürchte, ich muss deine Menschenfreundlichkeit und ädonitische Nächstenliebe in Anspruch nehmen und mir von dir das Geld borgen, das wir hier schuldig sind – ich kann es dir bald zurückzahlen, hab deshalb keine Sorge. Tz, tz«, schnalzte er und schwenkte die aufgeschlitzte Börse vor dem glotzenden Simon. »Oh! Die Welt ist krank vor Sünde.«
    Simon hörte Cadrachs Worte nur wie aus weiter Ferne, ein Lautgemurmel in seinem bierumnebelten Kopf. Er schaute nicht auf das Loch in der Börse, sondern auf die Möwe, die mit dickem, blauem Garn auf das Leder gestickt war. Die angenehme Trunkenheit von eben hatte sich in etwas Schweres und Saures verwandelt. Dann hob er den Kopf, bis sein Blick dem Bruder Cadrachs begegnete. Das Bier und die Wärme des Schankraums hatten Simons Wangen und Ohren gerötet, jetzt aber fühlte er, wie aus seinem jagenden Herzen eine noch viel heißere Blutwelle aufstieg.
    »Das … ist … mein … Geldbeutel!«, sagte er und Cadrach blinzelte wie ein ausgehobener Dachs.
    »Was, Junge?«, fragte er vorsichtig und rutschte langsam von der Wand weg zur Mitte der Bank. »Ich fürchte, ich habe nicht recht gehört.«
    »Dieser … Geldbeutel … gehört … mir.« Simon fühlte den ganzen Kummer, all die ohnmächtige Wut über den Verlust wieder in sich aufsteigen – Judiths enttäuschtes Gesicht, Doktor Morgenes’betrübtes Erstaunen –, dazu das Gefühl von Erschrecken und Übelkeit im Magen, weil man sein Vertrauen missbraucht hatte. Sämtliche roten Nackenhaare standen ihm zu Berge wie Eberborsten. »Dieb!«, schrie er plötzlich und wollte

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