Der Drachenbeinthron
Frekke zu ihm trat. Das Feuer im Rücken des alten Soldaten verwandelte ihn in einen hageren, schwankenden Schatten.
»Einen Augenblick, herzogliche Gnaden?«
Isgrimnur unterdrückte ein Grinsen. Der alte Bastard musstebetrunken sein. So förmlich drückte er sich nur aus, wenn er einen in der Krone hatte.
»Ja?«
»Es ist der Junge, Gebieter, den Einskaldir mitgebracht hat. Er ist wach. Dachte, vielleicht wollten Euer Gnaden ein wenig mit ihm plaudern.« Er torkelte leicht und tat schnell so, als wollte er sich nur die Hosen hochziehen.
»Na ja, vielleicht sollte ich das.« Der Wind wehte stärker. Isgrimnur zog sein Wams enger um sich und wollte sich eben umdrehen, als er noch einmal innehielt. »Frekke?«
»Herzogliche Gnaden.«
»Hab die verdammte Schnitzerei ins Feuer geworfen.«
»Das hab ich mir gedacht, Gebieter.«
Als Frekke auf dem Absatz kehrtmachte, um sich zu seinem Bierkrug zurückzuverfügen, war Isgrimnur sicher, dass der alte Mann ein ganz kleines Lächeln auf den Lippen trug.
Ach was, verdammt sollte er sein, er und sein Holz.
Der Junge hatte sich aufgesetzt und nagte das Fleisch von einem Knochen. Neben ihm auf einem Felsblock hockte Einskaldir und machte einen entspannten Eindruck – doch das täuschte. Isgrimnur hatte noch nie gesehen, dass der Mann sich wirklich entspannte. Der Feuerschein reichte nicht bis zu Einskaldirs tiefliegendem Blick, aber als der Junge aufschaute, war er großäugig wie ein am Waldteich überraschter Hirsch.
Als der Herzog näher kam, hörte der Junge auf zu kauen und musterte Isgrimnur einen Augenblick argwöhnisch mit halbgeöffnetem Mund. Dann aber sah Isgrimnur selbst im schwachen Glühen des Feuers, wie etwas über das Gesicht des Jungen ging … war es Erleichterung? Isgrimnur wurde unruhig. Er hatte trotz Einskaldirs Verdacht – der Mann war vor lauter Misstrauen stachlig wie ein Igel – erwartet, einen verängstigten Bauernjungen vorzufinden, verschreckt oder zumindest voll dumpfer Furcht. Dieser hier sah zwar wie ein Bauer aus, der in zerlumpte Kleider gehüllte Sohn eines unwissenden Kätners, schmutzig am ganzen Leib, aber es lag eine gewisse Wachheit in seinem Blick, die den Herzog veranlasste, sich zu fragen, ob Einskaldir nicht doch recht gehabt hatte.
»Also, Junge«, sagte er grob in der Westerlingsprache, »was hattest du vor, als du da in der Abtei herumgestochert hast?«
»Ich glaube, ich werde ihm jetzt den Hals abschneiden«, bemerkte Einskaldir in Rimmerspakk, und sein freundlicher Tonfall stand in schrecklichem Gegensatz zu den Worten. Isgrimnur warf ihm einen finsteren Blick zu und fragte sich, ob der Mann den Verstand verloren hatte, begriff dann aber, als der Junge weiter ohne besondere Furcht zu ihm aufsah, dass Einskaldir nur festzustellen versucht hatte, ob der Junge ihre Sprache verstand.
Wenn er es tut, hat er wohl den kühlsten Kopf, den ich je gesehen habe, dachte Isgrimnur. Nein, das war zu viel verlangt, sich vorzustellen, dass ein Junge dieses Alters mitten in einem Lager bewaffneter Fremder Einskaldirs eiskalte Worte wirklich verstanden haben sollte, ohne darauf irgendeine Reaktion zu zeigen.
»Er versteht nicht«, sagte der Herzog in ihrer Rimmersgard-Sprache zu seinem Lehnsmann. »Aber er ist erstaunlich ruhig, nicht wahr?« Einskaldir grunzte zustimmend und kratzte sich durch den dunklen Bart das Kinn.
»Also, Junge«, begann der Herzog von neuem. »Ich habe dich schon einmal gefragt. Sprich! Was hat dich zu der Abtei geführt?«
Der Junge senkte den Blick und legte den Knochen, an dem er genagt hatte, auf den Boden. Wieder fühlte Isgrimnur, wie etwas an seinem Gedächtnis zupfte, aber immer noch konnte er sich nicht erinnern.
»Ich habe … ich suchte … ein Paar neue Schuhe zum Anziehen.« Der Junge deutete auf seine sauberen, gepflegten Stiefel. Der Herzog erkannte ihn an der Aussprache als Erkynländer, und da war noch etwas anderes … aber was?
»Und wie ich sehe, hast du welche gefunden.« Der Herzog hockte sich nieder, sodass sie auf gleicher Höhe waren, Auge in Auge. »Weißt du, dass man gehängt werden kann, wenn man die unbegrabenen Toten bestiehlt?«
Endlich eine befriedigende Reaktion! Das Zusammenzucken des Jungen bei dieser Drohung konnte nicht vorgetäuscht sein, davon war Isgrimnur überzeugt. Gut!
»Es tut mir leid … Herr. Ich habe es nicht böse gemeint. Ich war hungrig vom Laufen, und meine Füße taten weh …«
»Vom Laufen woher?« Jetzt hatte er es: Der Junge drückte sich zu
Weitere Kostenlose Bücher