Der Drachenbeinthron
immer an den Händen gefesselt war. Man hatte ihn vom Pferd gehoben und an einen Felsen gesetzt. Der Junge zählte nur ein paar Jahre weniger als Hove. Er war mager, aber drahtig, und sein sommersprossiges Gesicht und der rötliche Haarschopf kamen Isgrimnur bekannt vor. Aber es wollte ihm nichts dazu einfallen. Der Junge war von dem Hieb, den Einskaldir ihm gegeben hatte, noch immer betäubt. Er hatte die Augen geschlossen, der Mund hing schlaff.
Sieht aus wie ein gewöhnlicher Bauerntölpel, dachte der Herzog, außer den Stie f eln – und ich wette, die hat er in der Abtei gefunden. Warumim Namen von Memurs Quell hat Einskaldir ihn hergeschleppt? Was soll ich mit ihm anfangen? Ihn töten? Ihn behalten? Ihn hierlassen, damit er verhungert?
»Wir wollen Steine suchen gehen«, sagte der Herzog endlich. »Hove wird einen Hügel brauchen – die Gegend sieht mir nach Wölfen aus.«
Es war Nacht geworden; die Felsgruppen, die über die verlassene Ebene am Fuß des Weldhelms verstreut lagen, bildeten nur noch Klumpen dichteren Schattens. Man hatte das Feuer hoch aufgeschürt, und die Männer lauschten Sludig, der ein unanständiges Lied sang. Isgrimnur wusste nur zu gut, warum Männer, deren Blut geflossen war und die einen der Ihren verloren hatten – Hoves unauffälliger Steinhaufen war einer der Schattenklumpen jenseits des Feuerscheines –, den Drang fühlten, sich auf so törichte Weise zu belustigen. Wie er selbst vor Monaten gesagt hatte, als er König Elias an seiner Tafel gegenüberstand, lagen Gerüchte in der Luft, die den Menschen Angst machten. Hier auf der offenen Ebene, mehr erdrückt als beschützt von den düster aufragenden Bergen, ließen sich Dinge, die man sich auf dem Hochhorst oder in Erchester als Geschichten von Reisenden, als Geistermärchen zur Belebung eines langweiligen Abends anhörte, nicht ohne weiteres mit einer lachenden Bemerkung abtun. Darum sangen die Männer, und ihre Stimmen erzeugten einen unmelodischen, aber sehr menschlichen Lärm in der Wildnis der Nacht.
Und einmal ganz abgesehen von irgendwelchen Geistergeschichten, wir sind heute angegriffen worden, dachte Isgrimnur, und ich weiß einfach keinen Grund dafür. Sie haben auf uns gewartet. Was, im Namen Usires’, hat das zu bedeuten?
Es war möglich, dass die Räuber einfach auf die nächste Gruppe von Reisenden gewartet hatten, die in der Abtei abstieg – aber warum? Wenn sie nur auf Raub und Beute aus waren, wieso plünderten sie dann nicht die Abtei selbst, in der es bestimmt zumindest ein paar schöne Reliquienkästchen gab? Und warum warteten sieausgerechnet in einem Kloster auf zufällig des Weges Kommende, an einem Ort, an dem es naturgemäß für jede Art von Diebstahl und Raub Zeugen geben musste?
Nicht dass noch viele Zeugen übrig sind, verdammt sollen diese Mörder sein. Einer vielleicht, wenn sich herausstellt, dass dieser Junge etwas gesehen hat.
Es ergab einfach keinen Sinn. Warten und dann eine Schar Reisender zu überfallen, die sich selbst in diesen unsicheren Zeiten durchaus als Wachen des Königs entpuppen konnten – und sich ja wirklich als bewaffnete, kampferprobte Nordmänner erwiesen hatten …
Also musste man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass man es tatsächlich auf ihn und seine Männer abgesehen hatte. Aber warum? Und ebenso wichtig: wer? Isgrimnurs Feinde, allen voran Skali von Kaldskryke, waren ihm wohlbekannt, und keiner der Räuber war als einer von Skalis Männern erkannt worden. Außerdem war Skali längst wieder in Kaldskryke; wie hätte er erfahren sollen, dass Isgrimnur das faule Leben so tödlich satt gehabt und um die Sicherheit seines Herzogtums gefürchtet hatte, dass er sich endlich doch aufgerafft hatte, Elias gegenüberzutreten, um nach einem Wortwechsel die – wenn auch widerwillig gegebene – königliche Erlaubnis zu erhalten, seine Männer nach Norden zu führen?
»Wir brauchen dich hier, Onkel«, hat er zu mir gesagt. Er wusste, dass ich das schon längst nicht mehr glaubte. Wollte mich nur im Auge behalten, nehme ich an.
Trotzdem hatte Elias bei weitem nicht so heftigen Widerstand geleistet, wie der Herzog befürchtet hatte; der Wortwechsel war ihm als bloße Formsache erschienen, als hätte der junge König vorher gewusst, dass es zu dieser Auseinandersetzung kommen würde, und sich bereits entschieden nachzugeben.
Zornig über seine Gedanken, die sich ständig im Kreise drehten, wollte Isgrimnur gerade aufstehen und zu seinen Schlafdecken gehen, als
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