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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Waffe. Außerdem trug er einen Speer, der länger als er selber war; das hintere Ende schleifte im Staub, während der Rimmersmann seine Runden machte.
    Simon wickelte sich fester in die Decke, um dem scharfen Wind der Ebene keine Angriffsfläche zu bieten. Der Himmel hatte sich verändert: Wo er zuvor klar gewesen war, sodass sich die Sterne in strahlender Schärfe von seiner unergründlichen Schwärze abgehoben hatten, trübten ihn jetzt Wolkenbänder, milchige Fühler aus dem Norden. Auf der anderen Seite des Himmels hatten sie die am tiefsten stehenden Sterne schon zugedeckt – wie Sand, den man über die Kohlenglut eines Feuers schüttet. Vielleicht fängt Sedda heute Nacht ihren Gatten, dachte Simon schläfrig.
    Als er das zweite Mal erwachte, spritzte ihm Wasser in Augen und Nase. Er schnappte nach Luft und riss die Lider auf. Die Sterne über ihm waren so säuberlich ausgelöscht, als sei der Deckel auf eine Juwelentruhe gefallen. Es regnete; die Wolken standen jetzt genau über ihm. Simon brummte, wischte sich das Wasser vom Gesicht und drehte sich auf die Seite. Die Decke zog er sich wie eine Kapuze über den Kopf. Ein Stückchen weiter entfernt konnte er auch denPosten wieder sehen, der sein Gesicht mit der Hand schützte und in den Regen hinaufstarrte.
    Gerade wollten Simon die Augen wieder zufallen, als der Mann einen merkwürdigen, ächzenden laut von sich gab und den Kopf senkte, um auf den Boden zu schauen. Etwas in seiner Haltung erweckte den Anschein, als ringe er mit jemanden, obwohl er so unbeweglich stand wie ein Felsblock. Der Regen begann in Strömen zu fließen, und in der Ferne grollte der Donner. Simon musste sich anstrengen, um in dem brodelnden Wolkenbruch den Posten noch beobachten zu können. Der Mann stand immer noch am selben Fleck, aber jetzt war zu seinen Füßen eine Bewegung auszumachen, etwas, das sich regte und damit aus der allgemeinen Schwärze herausgelöst hatte. Simon setzte sich auf. Ringsum klatschten und spritzten die Regentropfen auf die Erde.
    Jäh erhellte ein Lichtblitz die Nacht und ließ die Felsen grell aufleuchten wie die bemalten Holzkulissen eines Usires-Spieles. Das ganze Lager war deutlich zu erkennen – die dampfenden Überreste des Feuers, die zusammengerollten schlafenden Gestalten der Rimmersmänner –, aber was Simon in jenem Bruchteil einer Sekunde ins Auge sprang, war der Posten, dessen Gesicht zu einer stummen Maske totalen Entsetzens verzerrt war.
    Donner krachte, dann wurde der Himmel aufs Neue von Blitzen erfüllt. Die Erde um den Posten herum kochte, warf große Sandblasen auf. Simons Herz machte einen Satz in seiner Brust, als der Mann in die Knie sank. Wieder rollte der Donner; dreimal hintereinander blitzte es auf. Noch immer sprühte die Erde wie ein Springbrunnen, aber jetzt waren überall Hände und lange dünne Arme, die blässlich im Regen glitzerten, als sie sich am Körper des knienden Mannes hinauftasteten und ihn hinunterzerrten, kopfüber in das schwarze Erdreich. Als der nächste Blitz über den Himmel zuckte, sah Simon, dass eine weitere Horde dunkler Wesen aus der Erde hervorquoll – dürre, zerlumpte Geschöpfe mit fuchtelnden Armen, weißen, glotzenden Augen, verfilzten Bärten und Kleiderfetzen am Körper. Als der Donner nachließ, schrie Simon laut auf, verschluckte sich am Wasser, schrie wieder.
    Es war schlimmer als jede Höllenvision. Die Rimmersmänner,aufgeschreckt von Simons Entsetzensschrei, wurden auf allen Seiten von hüpfenden, auf sie einschlagenden Wesen angegriffen, die aus dem Boden schossen wie Ratten aus ihren Löchern – und wirklich, während sie durch das Lager huschten, war die Luft von dünnen, wimmernden Quäklauten erfüllt, die nach Tunneln und Blindheit und feiger Bosheit klangen.
    Einer der Nordmänner stand aufrecht, über und über von den Wesen bedeckt. Keines von ihnen war auch nur so groß wie Binabik, aber ihre Zahl war gewaltig, und noch während der Nordmann das Schwert zog, rissen sie ihn nieder. Simon glaubte das Aufblitzen scharfer Gegenstände in ihren Händen zu sehen, die sich hoben und senkten.
    »Vaer! Vaer Bukken!« , brüllte ein Rimmersmann von der anderen Seite des Lagers. Die Männer waren jetzt alle auf den Beinen, und wenn es blitzte, konnte Simon das blasse Feuer ihrer Schwerter und Äxte sehen. Er trat mit den Füßen die Decke fort und sprang auf, wobei er sich verzweifelt nach einer Waffe umblickte. Die Wesen waren überall, auf ihren dünnen Beinen staksig wie Insekten,

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