Der Drachenbeinthron
entfernt. Nun stapfte auch der Herzog davon. Simon rollte sich in die Decke und legte sich vor dem Felsen nieder.
Ich habe die Sterne schon eine ganze Weile nicht mehr richtig gesehen, überlegte Simon und schaute aus seiner Decke nach oben. Die hellen Punkte schienen in der Luft zu hängen wie erstarrte Glühwürmchen. Es ist etwas anderes hier draußen, als wenn man durch die Bäume sieht – als läge man auf einer Tischplatte.
Er dachte an Seddas Decke, und dabei fiel ihm wieder Binabik ein.
Ich hoffe nur, er ist in Sicherheit … aber er hat mich den Rimmersmännern überlassen.
Es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass es Herzog Isgrimnur war, in dessen Gefangenschaft er geraten war, aber trotzdem hatte es Augenblicke puren Entsetzens gegeben, als er im Lager zu sich gekommen war, umgeben von hart aussehenden, bärtigen Männern. Vermutlich konnte er es dem Troll nicht einmal übelnehmen, dass er sich davongemacht hatte – wenn er überhaupt gesehen hatte, dass Simon entführt worden war; und er kannte ja schließlich die Abneigung zwischen Binabiks Volk und den Rimmersmännern. Trotzdem tat es weh, auf diese Art einen Freund zu verlieren. Er würde härter werden müssen: Gerade erst hatte er angefangen, sich auf den kleinen Mann zu verlassen, damit er ihm sagte, was richtig und was als Nächstes zu tun war, so wie er einst auf DoktorMorgenes gehört hatte. Nun, er hatte seine Lektion gelernt: Von nun an würde er sein eigener Herr sein, nur auf sich selbst hören und seinen Weg gehen.
Eigentlich hatte er Isgrimnur sein wahres Ziel nicht nennen wollen, aber der Herzog war scharfsinnig, und Simon hatte mehrmals das Gefühl gehabt, der alte Soldat wäge ihn auf Messers Schneide – ein falscher Schritt, und er wäre abgestürzt.
Außerdem, dieser Dunkle, der die ganze Zeit neben mir saß, sah aus, als würde er mir liebend gern den Hals umdrehen, wie er vielleicht ein Kätzchen ertränkt, wenn er Lust dazu hat.
Darum hatte er dem Herzog, soweit es möglich war, die Wahrheit erzählt und damit auch Erfolg gehabt. Nun stellte sich allerdings die Frage, was er weiter unternehmen sollte. Bei den Rimmersmännern bleiben? Es schien töricht, es nicht zu tun, aber dennoch … Simon war sich immer noch nicht ganz sicher, auf wessen Seite der Herzog eigentlich stand. Isgrimnur wollte nach Naglimund, aber was war, wenn er dort Josua verhaften wollte? Alle Leute auf dem Hochhorst hatten dauernd davon geredet, wie treu Isgrimnur dem alten König Johan gewesen war, wie er den Königsfrieden höher hielt als sein eigenes Leben. Wie stand er zu Elias?
Unter keinen Umständen wollte Simon davon erzählen, welche Rolle er bei Josuas Flucht aus dem Hochhorst gespielt hatte; aber manchmal rutschte einem eben doch etwas heraus. Simon starb vor Neugier nach Neuigkeiten aus der Burg, nach dem, was nach Morgenes’ letztem Schachzug geschehen war – hatte Pryrates überlebt? Inch? Was hatte Elias den Leuten über den Vorfall erzählt? Aber es waren genau diese Fragen, so listig man sie auch stellen mochte, die einen in Teufels Küche bringen konnten.
Simon war zu aufgedreht zum Schlafen. Er blickte zu den verstreuten Sternen auf und dachte an die Knochen, die er Binabik morgens hatte werfen sehen. Der Wind strich über sein Gesicht, und auf einmal waren die Sterne selbst wie Knochen – in wildem Durcheinander über das dunkle Feld des Himmels verteilt. Einsam war es hier draußen unter lauter Fremden, unter der grenzenlosen Nacht. Er sehnte sich nach seinem gemütlichen Bett in der Dienstbotenunterkunft, nach den Tagen, bevor all diese Dingegeschehen waren. Seine Sehnsucht war wie die durchdringende Musik von Binabiks Flöte: ein kühler Schmerz, der dennoch das einzige Ding auf der weiten, weiten Welt war, an das er sich klammern konnte.
Er war ein wenig eingenickt, als das Geräusch ihn weckte. Sein Herz klopfte. Noch immer brannten die Sterne tief in der Schwärze. Jähe Panik schnürte ihm die Kehle zu, als eine dunkle, unbegreiflich hohe Gestalt vor ihm aufragte. Wo war der Mond?
Einen Augenblick später erkannte er, dass es nur der Wachtposten war, der mit dem Rücken zu Simons Decke einen Augenblick stehen geblieben war. Der Posten hatte sich seine eigene Satteldecke um die Schultern geschlungen, sodass die runde Oberseite seines helmlosen Kopfes aus den Falten herausschaute.
Der Wächter ging, ohne nach unten zu sehen, vorüber. In seinem breiten Gürtel steckte eine Axt, eine bösartige, scharfe, schwere
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