Der Drachenbeinthron
zu lange an diesen fremdländischen Höfen.
Unten brandeten die Wellen an die Felsen, als wäre das Meer so lange nicht zufrieden, bis es mit ungeheuerer Geduld den Palast in seine wässrige Umklammerung stürzen ließ.
Eolair brachte den restlichen Nachmittag damit zu, durch die hohen, luftigen Gänge und säuberlich gepflegten Gärten der Sancellanischen Mahistrevis zu schlendern. Heute Herzogspalast und Kapitol von Nabban, war sie einst Regierungssitz des gesamten Menschenreiches von Osten Ard gewesen. Auch wenn sie an Bedeutung verloren hatte, war sie doch immer noch voller Herrlichkeiten.
Oben vom felsigen Grat der Sancellanischen Hügel blickten die Westmauern des Palastes auf das Meer hinaus, das stets Nabbans Lebenssaft gewesen war. Nicht umsonst hatten alle vornehmen Familien Nabbans Wasservögel als Symbole ihrer Macht gewählt: den benidrivinischen Eisvogel der jetzigen Herzogsdynastie, den prevanischen Fischadler und den ingadarinischen Albatros; sogar den Reiher von Sulis, der einmal, wenn auch nur für kurze Zeit, in Erkynland über dem Hochhorst geweht hatte.
Östlich vom Palast erstreckte sich die Stadt Nabban über die Landzunge der Halbinsel, eine überfüllte, ausufernde Stadt aus Hügeln und dicht bebauten Wohnvierteln, die erst dort weitläufiger wurde, wo die Halbinsel in die Wiesen und Gehöfte des Seenlandes überging. Nabbans Gesichtsfeld war enger geworden, von der ganzen bekannten Welt von einst zu diesem Herzogtum auf einer Halbinsel mit seinem Brautschleier dazugehöriger Inseln; und seine Herrscher hatten sich auf sich selbst zurückgezogen. Und doch hatte vor keineswegs allzu langer Zeit der Mantel der Imperatoren von Nabban die ganze Welt bedeckt, vom brackigen Wran bis zu denfernsten Enden des eisigen Rimmersgard. Damals hatten im Ringen zwischen Fischadler und Pelikan und im Streit zwischen Reiher und Möwe Belohnungen gewunken, für die man alles aufs Spiel setzte.
Eolair wanderte durch die Springbrunnenhalle, in der glitzernde Fontänen aufstiegen, um sich unter dem offenen Gitterwerk des steinernen Dachs zu feinem Nebel zu zerstäuben. Er fragte sich, ob die Nabbanai überhaupt noch den Willen zum Kämpfen besaßen oder sich einfach mit ihrem langsamen Niedergang abgefunden hatten, sodass Elias’ Provokationen nur dazu führen würden, dass sie sich noch weiter in ihr schönes, zierliches Schneckenhaus zurückzogen. Wo waren sie, die großen Männer, die das Reich von Nabban einst aus dem rohen Stein von Osten Ard gehauen hatten – Männer wie Tiyagaris oder Anitulles?
Natürlich, dachte er, war da Camaris – ein Mann, der, wenn ihm nicht so viel wichtiger gewesen wäre zu dienen, als sich bedienen zu lassen, die willige Welt in der hohlen Hand hätte halten können. Ja, Camaris war wirklich ein mächtiger Mann gewesen.
Aber wer sind wir Hernystiri denn, dass wir den Mund aufmachen dürfen? , fragte er sich weiter. Welche Männer sind seit Hern dem Großen aus unseren westlichen Ländern hervorgegangen? Tethtain, der Sulis den Hochhorst abgewann? Vielleicht. Aber wer sonst? Wo ist in Hernystirs Hallen der Springbrunnen, wo sind unsere großen Paläste und Kirchen?
Aber eben darin liegt natürlich der Unterschied. Er sah über die strömenden Brunnen zur Spitze der Sancellanischen Ädonitis hinüber, dem Palast des Lektors und der Mutter Kirche. Wir Hernystiri schauen nicht auf die Bergbäche und sagen: Wie nehme ich das mit nach Hause? Wir gehen hin und bauen unser Haus neben den Bach. Wir haben keinen gesichtslosen Gott, den wir mit Türmen verherrlichen, die höher sind als die Bäume im Circoille. Wir wissen, dass die Götter in den Bäumen und in den Gebeinen der Erde und in den Flüssen leben, die genauso hoch aufsprühen wie nur irgendein Springbrunnen, wenn sie vom Grianspog-Gebirge zu Tal brausen.
Wir wollten nie die Welt regieren. Er lächelte vor sich hin und dachte an den Taig in Hernysadharc, einer Burg, die nicht aus Steinen erbaut war, sondern aus Holz, und deren Herz aus Eiche war und zu den Herzen seines Volkes passte. Wirklich, wir wollen nichts anderes,als in Ruhe gelassen werden. Aber nach ihren vielen Jahren voller Eroberungen haben diese Nabbanai vielleicht vergessen, dass man manchmal auch darum kämpfen muss.
Als er den Springbrunnensaal verließ, streifte Eolair von Nad Mullach zwei eintretende Legionärswachen.
»Verdammter Gebirgler«, hörte er einen der beiden sagen, der Eolairs Kleidung und den Pferdeschwanz seiner schwarzen Haare
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