Der Drachenbeinthron
musterte.
»Heia, weißt du«, bemerkte der andere, »ab und zu müssen auch die Schafhirten herkommen und sich anschauen, wie eine Stadt aussieht.«
»… Und wie geht es meiner kleinen Nichte Miriamel, Graf?«, fragte die Herzogin. Eolair saß nahe dem Kopfende der langen Tafel zu ihrer Linken. Fluiren als Zuletztgekommener und hervorragender Sohn Nabbans hatte den Ehrenplatz auf der rechten Seite von Leobardis inne.
»Es schien ihr gutzugehen, Herrin.«
»Habt Ihr sie oft gesehen, als Ihr Euch am Hof des Hochkönigs aufhieltet?«
Die Herzogin Nessalanta hob eine wundervoll gezeichnete Augenbraue und beugte sich näher zu ihm. Sie war eine ältere Frau von strenger Schönheit, bei der man freilich nicht recht wusste, wie viel davon den geschickten Händen ihrer Haarkünstlerinnen, Näherinnen und Zofen zu verdanken war. Eolair jedenfalls konnte es sich nicht vorstellen. Nessalanta war genau die Art Frau, die ihn – der er mit der Gesellschaft des schönen Geschlechtes durchaus vertraut war – zutiefst verunsicherte. Sie war jünger als ihr Gemahl, aber doch die Mutter eines Mannes in den besten Jahren. Was also war bleibende Schönheit, was Kunstwerk? Andererseits, kam es überhaupt darauf an? Nessalanta war eine mächtige Frau, und nur Leobardis selbst hatte größeren Einfluss auf die Staatsgeschäfte.
»Ich war nicht oft in Gesellschaft der Prinzessin, Herzogin, aber wir hatten mehrmals die Möglichkeit, beim Abendessen miteinander zu sprechen. Sie war so entzückend wie stets, aber ich glaube, sie hatte bereits großes Heimweh nach Meremund.«
»Hmmm.« Die Herzogin steckte eine Ecke ihres Tellerbrotes in den Mund und leckte sich graziös die Finger ab. »Es ist interessant, dass Ihr das erwähnt, Graf Eolair. Ich habe gerade Nachricht aus Erkynland bekommen, dass sie in die Burg von Meremund zurückgekehrt ist.« Sie hob die Stimme. »Vater Dinivan?«
Ein paar Plätze weiter unten sah ein junger Priester von seiner Mahlzeit auf. Obwohl sein Schädel nach Klosterart geschoren war, wuchs das verbleibende Haar lockig und recht lang.
»Ja, Herrin?«, fragte er.
»Vater Dinivan ist der Privatsekretär Seiner Heiligkeit des Lektors Ranessin«, erklärte Nessalanta. Der Hernystiri machte ein beeindrucktes Gesicht, und Dinivan lachte.
»Ich glaube nicht, dass dies auf besondere Geistesgaben oder Talente meinerseits zurückzuführen ist«, bemerkte er. »Der Lektor nimmt auch herrenlose Hunde auf, was Escritor Velligis furchtbar erregt. ›Die Sancellanische Ädonitis ist kein Hundezwinger‹, erklärt er dem Lektor, aber Seine Heiligkeit lächelt nur und erwidert: ›Osten Ard ist auch keine Kinderstube, und doch lässt der Wohlwollende Herr seine Kinder dort spielen, so unartig sie sich auch benehmen.‹« Dinivan wackelte mit den buschigen Brauen. »Mit dem Lektor kann man schwer diskutieren.«
»Stimmt es nicht«, fragte die Herzogin, als Eolair lachte, »dass der König, als Ihr ihn saht, Euch sagte, seine Tochter sei nach Meremund gereist?«
»Doch, das tat er«, erwiderte Dinivan, jetzt ernsthafter. »Er sagte, sie sei erkrankt und die Hofärzte rieten zu Seeluft.«
»Das tut mir leid.« Eolair sah an der Herzogin vorbei auf Leobardis und den alten Ritter Fluiren, die sich inmitten des Abendbrotlärms leise unterhielten – für ein zivilisiertes Volk, dachte er, hatten die Nabbanai erstaunlich viel Spaß an lauten Tischgesprächen.
»Nun ja«, verkündete Nessalanta und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, worauf sofort ein Page mit einer Fingerschale herbeisprang, »das beweist nur, dass man Menschen nicht mit Gewalt zu etwas machen kann, das sie nicht sind. Miriamel hat Nabbanai-Blut, und unser Blut ist salzig wie die See. Wir gehören an die Küste – und man sollte bleiben, wo man hingehört.«
Und was , fragte sich der Graf, wollt Ihr mir damit sagen, gnädigste Herrin? Dass ich in Hernystir bleiben und Euren Gatten – und Euer Herzogtum – in Frieden lassen soll? › Verfügt Euch ‹ , das heißt es wohl, ›zurück zu Euresgleichen‹?
Sehnsüchtig beobachtete Eolair, wie Leobardis und Fluiren miteinander debattierten. Man hatte ihn ausmanövriert, das wusste er; es gab keine höfliche Art, wie er die Herzogin übergehen und am Gespräch der beiden teilnehmen konnte. Inzwischen redete der alte Fluiren auf den Herzog ein und überschüttete ihn mit Elias’ süßen Worten. Und seinen Drohungen? Nein, wahrscheinlich nicht. Dazu hätte Elias nicht den würdigen Fluiren geschickt. Für
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