Der Drachenbeinthron
zu. »Ja, das Meer ändert sich nie, nicht wahr? Und doch herrscht dort ein ständiger Wechsel.«
»Das stimmt, Herr. Und es ist nicht immer ruhig. Manchmal gibt es Stürme.«
Der Herzog warf einen schrägen Blick auf den Hernystiri; er wusste nicht recht, ob diese Bemerkung mehr andeutete, als sich unmittelbar daraus entnehmen ließ. In diesem Augenblick betrat sein Sohn Benigaris den Raum, nickte einigen der Höflinge, die ihn begrüßten, kurz zu und näherte sich dem Sessel des Herzogs.
»Mein herzoglicher Vater; Graf Eolair«, sagte er und machte vor beiden eine Verbeugung. Eolair lächelte und streckte die Hand zum Händedruck aus.
»Es tut gut, Euch zu sehen«, sagte der Hernystiri. Benigaris war größer als beim letzten Mal, als er ihm gegenübergestanden hatte, aber damals war der Herzogssohn auch erst siebzehn oder achtzehn Jahre alt gewesen. Fast zwei Jahrzehnte waren seither vergangen, und Eolair war nicht traurig festzustellen, dass er zwar gute acht Jahre älter war als Benigaris, dass aber dieser und nicht er sich um den Gürtel gerundet hatte. Nichtsdestoweniger war der Sohn des Herzogs hochgewachsen und breitschultrig und hatte aufmerksame, dunkle Augen unter dichten, schwarzen Brauen. In seiner gegürteten Tunika und der gesteppten Weste machte er eine recht eindrucksvolle Figur – ein kraftvoller Gegensatz zu seinem liebenswürdigen Vater.
»Heja, es ist lange her«, stimmte Benigaris zu. »Wir wollen uns heute beim Abendessen darüber unterhalten.« Es klang nicht gerade so, als sei Benigaris von dieser Aussicht besonders hingerissen. Er wandte sich seinem Vater zu: »Herr Fluiren möchte Euch sprechen. Im Augenblick ist er beim Kämmerer.«
»Ach, der gute alte Fluiren! Das wird Euch wie Ironie vorkommen, Eolair. Einer der größten Ritter, die Nabban je hervorgebracht hat.«
»Nur Euren Bruder Camaris nannte man je größer«, unterbrach Eolair, der nicht ungern Erinnerungen an ein kriegerisches Nabban weckte.
»Ja, mein lieber Bruder.« Leobardis lächelte ein trauriges Lächeln. »Aber wenn man sich vorstellt, dass Fluiren als Gesandter von Elias zu mir kommt!«
»Es liegt eine gewisse Ironie darin«, erwiderte Eolair leichthin.
Benigaris kräuselte ungeduldig die Lippen. »Er erwartet Euch. Ich denke, Ihr solltet ihn schnellstens empfangen – ein Zeichen Eurer Achtung für den Hochkönig.«
»So, so!« Leobardis warf Eolair einen belustigten Blick zu. »Hört Ihr, wie mein Sohn mich herumkommandiert?« Doch kam es Eolair vor, als liege noch etwas anderes als Erheiterung in Leobardis’ Blick – Zorn? Sorge?
»Also gut, sag meinem alten Freund Fluiren, ich würde ihn empfangen … lass mich überlegen … ja, im Ratssaal. Wollt Ihr uns begleiten, Eolair?«
Benigaris drängte sich dazwischen. »Vater, ich glaube nicht, dass Ihr selbst einen so vertrauenswürdigen Freund wie den Grafen auffordern solltet, geheime Mitteilungen des Hochkönigs mit anzuhören!«
»Und warum, wenn ich fragen darf, sollte es notwendig sein, Geheimnisse vor Hernystir zu haben?«, erkundigte sich der Herzog, dessen Stimme einen zornigen Unterton bekommen hatte.
»Mit Verlaub, Herzog, ich habe ohnehin noch Dinge zu erledigen. Ich werde später nachkommen, um Fluiren zu begrüßen.« Eolair stand auf und verbeugte sich.
Als er beim Durchqueren des Thronsaales noch einmal innehielt, um die herrliche Aussicht zu genießen, hörte er hinter sich die in gedämpftem Streit erhobenen Stimmen von Leobardis und seinem Sohn.
Wellen erzeugen weitere Wellen, wie die Nabbanai sagen, dachte Eolair. Es sieht aus, als sei Leobardis’ Gleichgewicht empfindlicher, als ich dachte. Bestimmt ist das der Grund dafür, dass er nicht offen mit mir über seine Schwierigkeiten mit dem König reden will. Nur gut, dass Leobardis ein zäherer Bursche ist, als es nach außen hin scheint.
Hinter sich hörte er die Höflinge tuscheln und sah, als er sich umdrehte, dass mehrere in seine Richtung blickten. Er lächelte und nickte ihnen zu. Die Frauen erröteten und bedeckten den Mund mitden wallenden Ärmeln; die Männer nickten ernsthaft und wandten rasch den Blick ab. Er wusste, was sie dachten – er war ein Gegenstand ihrer Neugierde, ein bäuerlicher, ungebildeter Mann aus dem Westen, selbst wenn er ein alter Freund des Herzogs war. Ganz gleich, was er anziehen und wie fehlerlos er sprechen mochte, daran würde sich nichts ändern. Plötzlich überkam Eolair tiefe Sehnsucht nach seiner Heimat in Hernystir. Er war schon viel
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