Der Drachenbeinthron
Baum?«, fragte Binabik, der dicht neben ihm saß und mit einer Vogelknochennadel Simons Hemd zusammenflickte. Gleich darauf war er fertig und reichte es dem Jungen zurück, der einen Arm unter dem schützenden Mantel hervorstreckte, um es in Empfang zu nehmen. » Was ist ein Baum, und war dein Schlafen gut?«
»Ein Traum, sonst nichts«, sagte Simon etwas gedämpft, während er das Hemd über den Kopf zog. »Ich habe geträumt, der Engelsturm hätte sich in einen Baum verwandelt.« Er sah Binabik fragend an, aber der Troll zuckte nur die Achseln.
»Ein Traum«, stimmte Binabik zu.
Simon gähnte und streckte sich. In der geschützten Spalte des Berghanges war es nicht sonderlich bequem gewesen, doch nachdem sie sich gestern erst einmal in Marsch gesetzt hatten, hatte er schnell begriffen, dass jede Spalte einer schutzlosen Nacht auf der Ebene bei weitem vorzuziehen war.
Während er noch schlief, war die Sonne aufgegangen, unauffällig hinter der Wolkendecke, nur ein Strich rosagrauen Lichtes quer über den Himmel. Wenn man oben vom Berghang zurückblickte, konnte man schwer sagen, wo der Himmel aufhörte und die dunstigen Ebenen begannen. Die Welt heute Morgen schien ein trüber und unfertiger Ort zu sein.
»Ich sah Feuer heute Nacht, während du schliefst«, bemerkte der Troll und schreckte Simon damit aus seiner Träumerei.
»Feuer?! Wo?«
Binabik deutete mit der linken Hand über die Ebene nach Süden. »Dort hinten. Sorg dich nicht. Ich glaube, sie sind weit weg. Es ist durchaus die Möglichkeit, dass sie nichts mit uns zu tun haben.«
»Vermutlich.« Simon spähte in die graue Ferne. »Denkst du, es könnten Isgrimnur und seine Rimmersmänner sein?«
»Das ist zweifelhaft.«
Simon drehte sich wieder um und sah den Kleinen an. »Aber du hast gesagt, sie würden entkommen! Sie würden überleben!«
Der Troll warf ihm einen gereizten Blick zu. »Wenn du wartenkönntest, würdest du hören. Ich bin überzeugt, dass sie überlebt haben, aber sie waren unterwegs nach Norden, und ich bezweifle, dass sie umgekehrt sind. Diese Feuer waren deutlich weiter südlich, als ob …«
»… als ob sie von Erkynland herüberkämen«, beendete Simon den Satz.
»Ja!«, erwiderte Binabik ein wenig gereizt. »Aber es könnten ja Händler sein … oder Pilger …« Er sah sich um. »Wo nur Qantaqa steckt?«
Simon verzog das Gesicht. Er erkannte eine Ausflucht, wenn er sie hörte. »Also gut. Es könnte alles Mögliche sein … aber gestern warst du es, der zur Eile mahnte. Sollen wir warten, bis wir selbst sehen können, ob es Kaufleute sind oder … oder Gräber?« Der Scherz hatte einen bitteren Nachgeschmack. Das letzte Wort hatte ihm nicht angenehm im Mund gelegen.
»Nicht dumm sein, das ist wichtig«, grunzte Binabik angewidert. »Boghanik – die Bukken – machen kein Feuer. Sie hassen alles Helle. Und wir, nein, wir werden nicht warten, bis diese Feueranzünder zu uns kommen. Wir kehren in den Wald zurück, wie ich es dir gesagt habe.« Er deutete über die Schulter nach hinten. »Auf der anderen Seite des Berges werden wir ihn sehen können.«
Hinter ihnen knackte es im Gestrüpp, und Troll und Junge sprangen überrascht auf. Doch es war nur die Wölfin, die in Kreuz- und Quersprüngen den Hang hinunterkam, die Nase dicht am Boden. Als sie das Lager erreicht hatte, stupste sie Binabik am Arm, bis er ihren Kopf kraulte.
»Qantaqa ist fröhlicher Laune, hmmm?« Der Troll zeigte lächelnd die gelben Zähne. »Da wir den Vorteil eines dichtbewölkten Tages haben, der den Rauch eines Lagerfeuers verdeckt, denke ich, dass wir uns erlauben können, zumindest eine ordentliche Mahlzeit zu uns zu nehmen, bevor wir uns wieder auf den Weg machen. Findet das deine Zustimmung?«
Simon bemühte sich um eine ernsthafte Miene. »Ich … glaube schon, dass ich etwas essen könnte … wenn es denn sein muss«, antwortete er, »wenn du es wirklich für wichtig hältst …«
Binabik sah ihn an und versuchte sich darüber klarzuwerden, ob Simon tatsächlich Einwände gegen ein Frühstück hatte, undder Junge fühlte, wie ein Lachen in ihm aufstieg und heraussprudeln wollte.
Wieso benehme ich mich wie ein Mondkalb? Er wunderte sich über sich selbst. Wir sind in furchtbarer Gefahr, und daran wird sich auch so bald nichts ändern.
Aber schließlich war Binabiks verwirrter Blick zu viel für ihn, und er brach in lautes Gelächter aus.
Nun ja, gab er sich selbst Antwort, man kann sich nicht ununterbrochen Sorgen machen.
Simon
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