Der Drachenbeinthron
es ihre letzte Schlacht war. Imperator Ardrivis wurde von einem Pfeil getötet und sein Bruder Benidrivis wurde der neue Imperator … allerdings nur für den Rest dieses Tages, der mit der Unterwerfung Nabbans endete. Camaris war Benidrivis’ Sohn. Er war damals noch sehr jung, vielleicht fünfzehn Jahre, und so wurde er für diesen Nachmittag der letzte Nabbanai-Prinz, wie er auch in Liedern heißt … hast du jetzt verstanden?«
»Besser. Es waren diese vielen ›Arise‹ und ›Ivise‹, die mich einen Augenblick abgehängt haben.«
Binabik nahm das Pergament wieder auf und las weiter.
»Als nun Camaris auf das Schlachtfeld ritt, war das ermüdete Heer von Erkynland sehr bestürzt. Die Truppen des jungen Prinzen waren zwar nicht frisch, aber Camaris selbst glich einem Wirbelwind, einem tödlichen Sturm, und das Schwert Dorn, das ihm sein sterbender Onkel gegeben hatte, war wie ein schwarzgezackter Blitz. Selbst zu diesem späten Zeitpunkt, heißt es in den Aufzeichnungen, hätten die Streitkräfte von Erkynland noch aufgerieben werden können. Da aber trat Johan der Priester auf den Kampfplatz, Hellnagel fest in der behandschuhten Faust, und hieb sich einen Weg durch die Kaiserliche Garde von Nabban, bis er dem tapferen Camaris gegenüberstand.«
»Jetzt kommt das, worauf ich dich besonders aufmerksam machen möchte«, sagte Binabik und blätterte um zur nächsten Seite.
»Das ist gut!«, warf Simon ein. »Spaltet Johan der Priester ihn jetzt in zwei Hälften?«
»Lächerlich!«, schnaubte der Troll. »Wie sollten sie denn dann die engsten und ruhmreichsten Freunde werden? In zwei Hälften spalten! Pah!« Er fuhr fort.
»In den Balladen heißt es, sie hätten den ganzen Tag und bis in die Nacht hinein gefochten, aber hier sind Zweifel angebracht. Bestimmt kämpften sie lange, aber zweifellos waren Dämmerung und Dunkelheit ohnehin nicht mehr fern, und es kam nur einigen der müde gewordenen Zuschauer so vor, als hätten diese beiden großen Männer den ganzen Tag lang gegeneinander gestritten … «
»Was für Überlegungen dein Doktor anstellt!«, kicherte Binabik belustigt.
»Wie aber die Wahrheit auch lauten mag, sie tauschten Schlag um Schlag, klirrten und hämmerten auf die Rüstung des anderen ein, bis die Sonne sank und die Raben sich gütlich taten. Keiner der Männer konnte die Oberhand gewinnen, obwohl Johans Truppen inzwischen Camaris’ Garde längst besiegt hatten. Aber keiner der Erkynländer wagte sich einzumischen. Endlich trat Camaris’ Pferd zufällig in ein Loch, brach sich das Bein und stürzte mit lautem Wiehern nieder, wobei es den Prinzen unter sich begrub. In diesem Augenblick hätte Johan ein Ende machen können, und wenige hätten ihn darum getadelt; stattdessen jedoch, so schwören die Zuschauer einmütig, half er dem gefallenen Nabbanai-Ritter unter seinem Ross hervor, gab ihm sein Schwert zurück und setzte, nachdem sich Camaris als unverletzt erwiesen hatte, den Kampf mit ihm fort.«
»Ädon!«, hauchte Simon, tief beeindruckt. Natürlich hatte er die Geschichte schon gehört, aber es war etwas ganz anderes, sie jetzt in Morgenes’ knappen, vertrauenswürdigen Worten bestätigt zu bekommen.
»So stritten sie fort und fort, bis Johan der Priester – der schließlich gute zwanzig Jahre mehr als Camaris zählte – müde wurde und stolperte. Er stürzte vor den Füßen des Prinzen von Nabban zu Boden.
Camaris, von der Stärke und Ehrenhaftigkeit seines Gegners gerührt,verzichtete darauf, ihn zu töten. Stattdessen setzte er Johan das Schwert Dorn an die Kehle und forderte das Versprechen von ihm, Nabban von nun an unbehelligt zu lassen. Johan, der nicht erwartet hatte, dass man ihm seine eigene Barmherzigkeit in gleicher Weise vergelten würde, sah auf das Feld von Nerulagh hinaus, leer bis auf seine eigenen Krieger, überlegte einen Augenblick – und versetzte Camaris-sá-Vinitta einen überraschenden Fußtritt zwischen die Beine.«
»Nein!«, rief Simon fassungslos. Qantaqa hob bei seinem Ausruf den schläfrigen Kopf. Binabik grinste nur und fuhr fort, weiter aus Morgenes’ Aufzeichnungen vorzulesen.
»Nunmehr stellte sich Johan seinerseits über den schmerzhaft verwundeten Camaris und sprach zu ihm: › Ihr habt noch viel zu lernen, aber Ihr seid ein tapferer und edler Mann. Ich will Eurem Vater und Eurem Hause jede Höflichkeit erweisen und gut für Euer Volk sorgen. Ich hoffe, dass Ihr wiederum die erste Lektion, die ich Euch heute erteilt habe, beherzigen
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