Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
ihn.
    Die Botschaft war von Morgenes, und sie handelte von dir, mein Freund. Sie sagte dem Leser – der mein Meister hätte sein sollen –, dass du in Gefahr seist und allein vom Hochhorst nach Naglimund reisen würdest. Sie bat meinen Meister, dir zu helfen, wenn möglich ohne dein Wissen. Und noch ein paar andere Dinge.«
    Simon lauschte gebannt; hier war ein fehlendes Stück seiner eigenen Geschichte. »Was für ›andere Dinge‹?«, wollte er wissen.
    »Dinge nur für die Augen meines Meisters.« Binabiks Ton war freundlich, aber fest. »Man braucht wohl nicht zu erwähnen, dass jetzt alles anders aussah. Sein alter Freund bat meinen Meister um einen Gefallen … aber nur ich konnte ihm diesen Gefallen noch tun. Auch das war schwierig, aber sobald ich Morgenes’ Nachricht gelesen hatte, wusste ich, dass ich seine Bitte erfüllen musste. Also brach ich am selben Tage, noch vor Einbruch der Dämmerung, nach Erchester auf.«
    Die Botschaft lautete, dass ich allein reisen würde. Morgenes hat nie geglaubt, dass er fliehen könnte. Simon fühlte, wie ihm die Tränen kamen und versteckte die Mühe, die es ihn kostete, sie zu unterdrücken, hinter einer Frage.
    »Aber wie solltest du mich finden?«
    Binabik lächelte. »Mit Hilfe harter Qanucarbeit, Freund Simon. Ich musste deine Fährte aufspüren – Zeichen, dass ein junger Mann vorbeigekommen war, ohne festes Ziel, dergleichen Dinge. Harte Qanucarbeit und eine Größe von Glück führten mich zu dir.«
    In Simons Herz stieg jäh eine Erinnerung auf, grau und furchterregend selbst aus weiter Ferne. »Bist du mir auf der Begräbnisstätte gefolgt? Dort vor den Stadtmauern?« Es war nicht alles ein Traum gewesen, das wusste er. Etwas hatte seinen Namen gerufen. Aber das runde Gesicht des Trolls blieb enttäuschend leer.
    »Nein, Simon«, antwortete er und überlegte sorgfältig. »Ich habe deine Spur erst, denke ich, auf der Alten Forststraße entdeckt. Warum?«
    »Es ist nicht wichtig.« Simon stand auf, streckte sich und blickte auf das feuchte Flachland hinaus. Dann setzte er sich wieder hin und griff nach dem Wasserschlauch. »Also gut. Ich denke, ich verstehe jetzt … aber ich muss mir über so vieles erst noch klar werden. Es sieht ganz danach aus, als sollten wir doch nach Naglimund gehen, oder was meinst du?«
    Binabik machte ein besorgtes Gesicht. »Ich bin nicht sicher, Simon. Wenn sich die Bukken in der Frostmark zeigen, ist die Straße zur Feste Naglimund für zwei einzelne Reisende zu gefährlich. Ich muss gestehen, dass ich mir große Sorgen mache. Ich wünschte, wir hätten deinen Doktor Morgenes hier, um uns einen Rat zu geben. Bist du in so großer Gefahr, Simon, dass wir nicht wenigstens irgendeine Botschaft an ihn wagen können? Ich glaube nicht, dass er will, dass ich dich durch so schreckliche Gefahren führe.«
    Es dauerte einen Augenblick, bis Simon begriff, dass der »er«, von dem Binabik sprach, Morgenes war. Gleich darauf kam ihm die verblüffende Erkenntnis, dass der Troll ja gar nicht wusste, was vorgefallen war.
    »Binabik«, begann er und hatte im selben Augenblick ein Gefühl, als füge er dem anderen eine Wunde zu, »er ist tot. Doktor Morgenes ist tot.«
    Eine Sekunde lang riss der Kleine weit die Augen auf. Zum ersten Mal war das Weiß um die braune Iris sichtbar. Dann erstarrte Binabiks Miene sofort zur leidenschaftslosen Maske
    »Tot?«, wiederholte er endlich und seine Stimme war so kalt, dass es Simon ganz sonderbar zumute war – als müsste er sich verteidigen, als wäre das alles irgendwie seine Schuld.
    »Ja.« Simon überlegte kurz und ging dann bewusst ein Risiko ein.»Er starb, um Prinz Josua und mir aus der Burg zu helfen. König Elias hat ihn getötet – das heißt, er ließ ihn von Pryrates töten, der sein Gefolgsmann ist.«
    Binabik starrte Simon in die Augen und sah dann zu Boden. »Ich wusste von Josuas Gefangenschaft. Es stand in dem Brief. Alles Weitere sind … Neuigkeiten, und zwar sehr schlimme.« Er stand auf, und der Wind zerrte an seinem glatten, schwarzen Haar.
    »Lass mich jetzt ein Stück gehen, Simon. Ich muss nachdenken, was das alles bedeutet … ich muss nachdenken …«
    Mit immer noch ausdruckslosem Gesicht entfernte sich der kleine Mann von der Felsgruppe. Sofort sprang Qantaqa ihm nach. Binabik wollte sie erst verscheuchen, zuckte dann aber die Achseln. Sie umkreiste ihn in weiten, trägen Bögen, während er langsam weiterging, den Kopf gesenkt, die kleinen Hände in den Ärmeln versteckt.

Weitere Kostenlose Bücher