Der Drachenbeinthron
seufzte und ließ sich von Qantaqa die letzten Reste Eichhörnchenfleisch von den Fingern lecken. Er staunte, wie zart die Wölfin mit ihrem gewaltigen Kiefer und den blitzenden Zähnen umzugehen wusste.
Das Feuer war nur klein, denn der Troll hielt nichts von unnötigen Risiken. Ein dünner Rauchfaden kräuselte sich geschmeidig im Wind, der über den Berghang strich.
Binabik las in Morgenes’ Manuskript, das er mit Simons Erlaubnis ausgepackt hatte. »Es ist meine Hoffnung, dass du verstehst«, bemerkte der Troll, ohne aufzusehen, »dass du das mit keinem anderen Wolf als meiner Freundin Qantaqa versuchen darfst.«
»Natürlich nicht. Es ist erstaunlich, wie zahm sie ist.«
»Nicht zahm .« Binabik betonte das Wort mit Nachdruck. »Sie hat eine Ehrenschuld mir gegenüber, und das schließt die mit ein, die meine Freunde sind.«
»Ehre?«, fragte Simon träge.
»Ich bin überzeugt, du kennst diesen Begriff, auch wenn man in den südlichen Ländern recht leichtfertig damit umgeht. Ehre. Glaubst du, dass so etwas Troll und Tier nicht aneinander binden kann?« Binabik warf ihm einen kurzen Blick zu und blätterte dann weiter in dem Manuskript.
»Ach, ich glaube heutzutage überhaupt nicht mehr viel«, erwiderte Simon leichthin und beugte sich vor, um Qantaqas dickpelziges Kinn zu kratzen. »Ich versuche nur, den Kopf schön nach unten zu halten und bis nach Naglimund zu kommen.«
»Du weichst einer echten Antwort aus«, brummte Binabik,verfolgte jedoch das Thema nicht weiter. Eine Weile war auf dem Berghang nur das Knistern des Pergaments zu vernehmen. Die Morgensonne stieg am Himmel höher.
»Hier«, meinte Binabik endlich, »hör mir zu. Ach, Tochter der Berge, wie sehr vermisse ich doch Morgenes, wenn ich nur seine Worte lese. Weißt du etwas über Nerulagh, Simon?«
»Gewiss. Wo König Johan die Nabbanai schlug. In der Burg ist ein Tor, das ganz mit Schnitzereien davon bedeckt ist.«
»Du hast recht. Nun, hier schreibt Morgenes also über die Schlacht von Nerulagh, in der Johan zum ersten Mal dem berühmten Ritter Camaris begegnete. Darf ich dir vorlesen?«
Simon unterdrückte eine Anwandlung von Eifersucht. Der Doktor hatte schließlich sein Manuskript nicht allein für ihn bestimmt.
»Nachdem sich daher Ardrivis’ Entscheidung – eine tapfere, sagen manche, hochmütig nennen sie andere –, diesem Emporkömmling, dem König aus dem Norden, in der flachen Ebene des Wiesen-Thrithings am Myrme-See gegenüberzutreten, als verhängnisvoll erwiesen hatte, zog Ardrivis seine Hauptstreitmacht zum Onestrinischen Pass zurück, einem schmalen Durchgang zwischen den Bergseen Eadne und Clodu …«
»Wovon Morgenes hier spricht«, erläuterte Binabik, »ist, dass Ardrivis, der Imperator von Nabban, nicht glaubte, Johan der Priester könne in so großer Entfernung vom Erkynland noch eine bedeutende Streitmacht gegen ihn aufstellen. Aber die Inselbewohner von Perdruin, die immer im Schatten der Nabbanai gestanden hatten, schlossen einen Geheimvertrag mit dem König und halfen ihm, seine Truppen zu versorgen. Johans Heer schlug Ardrivis’ Männer vernichtend am Rande des Wiesen-Thrithings, etwas, das die stolzen Nabbanai niemals für möglich gehalten hätten. – Kannst du mir folgen?«
»Ich denke schon.«
Simon war sich nicht ganz sicher, hatte aber genügend Balladen über Nerulagh gehört, um die meisten Namen wiederzuerkennen. »Lies weiter.«
»Das werde ich. Lass mich nur die Stelle finden, die ich dir vorlesen wollte.«
Er überflog die Seite. »Ho!«
»Und so führte, als die Sonne hinter dem Berg Onestris versank, die letzte Sonne für achttausend tote und sterbende Männer, der junge Camaris, dessen Vater Benidrivis-sá-Vinitta erst vor einer Stunde von seinem sterbenden Bruder Ardrivis den Stab des Imperators übernommen hatte, den Angriff von fünfhundert Berittenen an, dem Rest der kaiserlichen Garde, begierig nach Rache …«
»Binabik?«, unterbrach Simon.
»Ja?«
»Wer übernahm was von wem?«
Binabik lachte. »Verzeih mir. Es ist ein recht volles Netz von Namen für einen einzigen Fang, nicht wahr? Ardrivis war der letzte Imperator von Nabban, obwohl sein Kaiserreich, verstehst du, nicht größer war als das heutige Herzogtum Nabban. Ardrivis überwarf sich mit Johan dem Priester, vermutlich, weil Ardrivis wusste, dass Johan ein vereinigtes Osten Ard anstrebte und es eines Tages zum Krieg kommen würde. Ich will dich nicht mit allen diesen Kämpfen langweilen, aber du weißt ja, dass
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