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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Stück Brot und ein paar Zwiebeln suchen … und vielleicht ein Krüglein mit irgendeinem Getränk – Reden macht durstig –, und dann werde ich versuchen, Schlacke in reines Metall zu verwandeln; kurz gesagt: dir etwas beizubringen.«
    Als sie sich verproviantiert hatten, nahm der Doktor wieder Platz.
    »Nun gut und nochmals gut, Simon – oh, und genier dich nicht, beim Essen den Besen zu schwingen. Die Jugend ist ja so anpassungsfähig! –, berichtige mich also bitte, wenn ich etwas Falsches sage.
    Heute haben wir Drorstag, den fünfzehnten – sechzehnten? – nein, den fünfzehnten Novander. Und das Jahr 1164, nicht wahr?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Hervorragend. Leg das da drüben auf den Schemel, ja? Also das elfhundertvierundsechzigste Jahr seit wann? Weißt du das?« Morgenes beugte sich vor.
    Simon zog ein saures Gesicht. Der Doktor wusste, dass er ein Mondkalb war, und neckte ihn nur. Wie sollte ein Küchenjunge etwas von solchen Dingen wissen? Er fegte schweigend weiter.
    Wenig später sah er auf. Der Doktor kaute und blickte ihn über einen knusprigen Kanten dunklen Brotes gespannt an. Was für gerissene, blaue Augen der alte Mann hatte!
    Simon drehte sich wieder um.
    »Nun?«, fragte der Doktor mit vollem Mund. »Seit wann?«
    »Ich weiß es nicht«, murmelte Simon und hasste den Klang seiner eigenen vorwurfsvollen Stimme.
    »So sei es. Du weißt es nicht – oder wenigstens glaubst du das. Hörst du den Bekanntmachungen zu, wenn der Ausrufer sie verliest?«
    »Manchmal. Wenn ich auf dem Markt bin. Sonst erzählt mir Rachel, was sie sagen.«
    »Und was kommt zum Schluss? Zum Schluss lesen sie das Datum, erinnerst du dich nicht? Und pass auf die Kristallvase auf, Junge, du fegst wie ein Mann, der seinen schlimmsten Feind rasiert. Wie heißt es am Ende?«
    Simon, beschämt und gereizt, wollte gerade den Besen hinwerfen und fortrennen, als plötzlich ein Satz aus den Tiefen seiner Erinnerung aufstieg, begleitet von den Geräuschen des Marktes – dem Knallen von Fähnchen und Dachplanen im Wind – und dem sauberen Duft des Frühlingsgrases, auf dem er stand.
    »Seit der Gründung.« Er war sicher. Er hörte es, als stünde er gerade auf der Mittelgasse.
    »Ausgezeichnet!« Der Doktor hob wie zum Ehrengruß den Krug und nahm einen großen Schluck. »Und nun – was für eine ›Gründung‹? Mach dir keine Sorgen«, fuhr er fort, als Simon wieder den Kopf schütteln wollte. »Ich werde es dir erzählen. Ich erwarte nicht, dass junge Männer von heute – die man mit unverbürgten Geschichten von fahrenden Rittern und deren Heldentaten aufwachsen lässt – viel über den wirklichen Hergang der Ereignisse wissen.« Mit gespielter Trauer schüttelte der Doktor seinerseits das Haupt. »Es war das Nabbanai-Imperium, das vor elfhundertsoundsoviel Jahren gegründet wurde, von Tiyagaris, dem ersten Imperator. Damals herrschten die Legionen von Nabban über alle Länder der Menschen im Norden und Süden, zu beiden Seiten des Gleniwentflusses.«
    »Aber – aber Nabban ist klein!« Simon war erstaunt. »Es ist ja nur ein kleiner Teil von König Johans Reich!«
    »Das, junger Mann«, versetzte Morgenes, »ist genau das, was wir ›Geschichte‹ nennen. Kaiserreiche haben einen Hang zum Niedergang und ganze Königreiche verschwinden. Im Lauf von ungefähr tausend Jahren kann alles Mögliche passieren – und Nabbans Blütezeit war sogar von weit kürzerer Dauer. Worauf ich aber hinauswollte, ist, dass Nabban einst über die Menschen herrschte, und diese Menschen lebten Seite an Seite mit den Sithi. Deren König regierte hier in Asu’a – dem Hochhorst, wie wir es nennen. Der Erlkönig – ›Erl‹ ist ein altes Wort für Sitha – verweigerte den Menschen das Recht, das Gebiet seines Volkes zu betreten, sofern man es ihnen nicht ausdrücklich erlaubte; und die Menschen, die die Sithi nicht wenig fürchteten, gehorchten.«
    »Aber was sind Sithi? Ihr habt gesagt, sie seien kein ›Kleines Volk‹.«
    Morgenes lächelte. »Ich weiß dein Interesse zu schätzen, Junge – vor allem, weil ich heute noch kein Wort vom Töten und Verstümmeln erzählt habe! Aber ich würde es noch mehr begrüßen, wenn du nicht so schüchtern mit dem Besen umgingst. Tanz mit ihm, Junge, tanz mit ihm! Hier, feg das weg, sei so gut.«
    Morgenes trottete zur Wand hinüber und deutete auf einenRußfleck von mehreren Ellen Umfang, der große Ähnlichkeit mit einem riesigen Fußabdruck hatte. Simon beschloss, keine Fragen zu stellen, und

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