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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sterben. Hmmm … Langweile ich dich vielleicht, Junge?«
    Simon, der sich an die Wand gelehnt hatte, schoss in die Höhe und begegnete Morgenes’ wissendem Lächeln.
    »Nein, Doktor, nein! Ich habe nur die Augen zugemacht, um Euch besser lauschen zu können. Sprecht weiter!«
    Aber tatsächlich machten ihn alle diese Namen, Namen, Namen doch ein bisschen schläfrig … und er wünschte sich, der Doktor würde sich beeilen und endlich zu den Stellen mit den Schlachten kommen. Andererseits gefiel es ihm, der Einzige in der ganzen Burg zu sein, mit dem Morgenes sich unterhielt. Die Kammermädchen wussten von solchen Dingen gar nichts … Männersachen. Was wussten Mägde oder Dienstmädchen von Heeren, Fahnen und Schwertern?
    »Simon?«
    »Ja? Sprecht weiter!« Er wirbelte herum, um den letzten Rest des Flecks zu beseitigen, während der Doktor weitererzählte. Die Wand war sauber. Hatte er fertiggefegt, ohne es zu merken?
    »Nun, ich werde versuchen, die Geschichte ein wenig kürzer zu fassen, Junge. Wie gesagt, zog Nabban seine Heere aus dem Norden ab und wurde zum ersten Mal ein ausschließlich südliches Kaiserreich. Natürlich war das nur der Anfang vom Ende; im Lauf der Zeit faltete sich das Imperium zusammen wie eine Decke, kleiner und kleiner, bis es wie heute nicht mehr als ein Herzogtum war – eine Halbinsel mit ein paar dazugehörigen Inseln. Was, im Namen von Paldirs Pfeil, machst du da eigentlich?«
    Simon verrenkte sich wie ein Jagdhund, der sich an einer schwer zugänglichen Stelle kratzen möchte. Ja, das war der letzte Rest des Wandschmutzes: ein schlangenförmiger Dreckstreifen hinten auf seinem Hemd. Er hatte sich dagegen gelehnt. Verlegen drehte er sich zu Morgenes um, aber der Doktor lachte nur und sprach weiter.
    »Ohne die Garnisonen des Imperiums, Simon, lag der Norden inChaos. Die Schiffer hatten den nördlichsten Teil der Frostmark erobert und nannten ihre neue Heimat Rimmersgard. Damit aber keineswegs zufrieden, stießen die Rimmersmänner weiter nach Süden vor und fegten in blutigem Ansturm alles vor sich her. – Stapel diese Foliobände an der Wand auf, bitte.
    Sie beraubten die anderen Menschen, zerstörten ihre Heimat und nahmen viele gefangen; die Sithi traf es am härtesten. Sie hielten sie für böse Wesen und jagten das Schöne Volk überall mit Feuer und kaltem Eisen und töteten sie … Vorsicht mit dem da, sei ein guter Junge.«
    »Da drüben, Doktor?«
    »Ja – aber bei Anaxos’ Gebeinen, lass sie nicht fallen! Leg sie hin. Wenn du wüsstest, welche grässlichen mitternächtlichen Stunden ich auf einem Friedhof in Utanyeat zugebracht habe, um sie in die Hände zu bekommen. So, schon viel besser.
    Nun waren jedoch die Bewohner von Hernystir – ein stolzes, wildes Volk, das kein Nabbanai-Imperator je wirklich unterworfen hatte – ganz und gar nicht bereit, vor Rimmersgard den Nacken zu beugen. Sie waren entsetzt über das, was die Nordleute den Sithi antaten. Von allen Menschen gingen die Hernystiri mit dem Schönen Volk am vertrautesten um – noch heute findet man die Spuren einer uralten Handelsstraße zwischen dieser Burg und dem Taig von Hernysadharc. Der Herr von Hernystir und der Erlkönig schlossen einen verzweifelten Bund, und für eine Weile geboten sie der Flut aus dem Norden Einhalt.
    Aber selbst ihr vereinter Widerstand konnte nicht ewig dauern. Fingil, der König der Rimmersmänner, überrannte die Frostmark und überschritt die Grenzen zum Gebiet des Erlkönigs …« Morgenes lächelte traurig. »Wir kommen jetzt zum Schluss, junger Simon, hab keine Angst, wir kommen ans Ende von allem …
    Im Jahre 663 erreichten die beiden gewaltigen Heere die Ebenen von Agh Samrath, dem Sommerfeld, im Norden des Gleniwentflusses. Fünf Tage währte das furchtbare, erbarmungslose Gemetzel, und die vereinten Hernystiri und Sithi hielten der Macht der Rimmersmänner stand. Am sechsten Tage jedoch wurden sie an ihrer ungeschützten Flanke verräterisch von einem Heer der Thrithingmännerüberfallen, die schon seit langem die Reichtümer des Erkynlandes und der Sithi für sich begehrten. Im Schutz der Dunkelheit führten sie einen entsetzlichen Angriff. Die Verteidigung wurde durchbrochen, die Streitmacht der Hernystiri zerschmettert, der Weiße Hirsch des Hauses Hern in den blutigen Staub getrampelt. Man sagt, zehntausend Männer aus Hernystir seien an diesem Tag auf dem Schlachtfeld gefallen. Niemand weiß, wie viele Sithi starben, aber auch ihre Verluste waren schrecklich.

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