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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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habe es unsagbar satt!« Simon konnte das Gesicht des Sprechers nicht sehen; er kehrte der Empore den Rücken zu und trug einen Mantel mit hohem Kragen. Seinen Gefährten jedoch, der ihm gegenüber auf einer Kirchenbank saß, konnte Simon deutlich ausmachen und erkannte ihn sofort.
    »Leute, denen man etwas sagt, das sie nicht gern hören, sprechenoft von ›Gejammer‹, Bruder«, sagte der auf der Bank und bewegte müde die feingliedrige linke Hand. »Aus Liebe zum Reich warne ich dich vor diesem Priester.« Einen Augenblick Schweigen. »Und im Gedenken an die Zuneigung, die uns einmal verbunden hat.«
    »Du kannst alles sagen, alles, was du willst!«, bellte der erste Mann, und sein Zorn klang sonderbar nach Schmerz. »Aber der Thron gehört mir, nach dem Gesetz und dem Wunsch unseres Vaters. Nichts, was du denkst, sagst oder tust, kann daran etwas ändern!«
    Josua Ohnehand, so nannte man den jüngeren Sohn des Königs, erhob sich steif von der Bank. Sein perlgraues Wams und die Beinkleider zeigten kunstvolle Muster in Rot und Weiß; er trug das braune Haar kurz und hoch aus der Stirn gekämmt. Wo die rechte Hand hätte sein sollen, ragte nur ein schwarzer Lederstumpf aus seinem Ärmel.
    »Ich will den Drachenbeinthron nicht, glaub mir das, Elias«, zischte er. Seine Worte waren höflich, aber sie flogen in Simons Versteck wie Pfeile. »Ich warne dich lediglich vor Pryrates, einem Mann mit … ungesunden Neigungen. Bring ihn nicht hierher, Bruder. Er ist gefährlich – glaub mir, denn ich kenne ihn von früher, aus der Usires-Priesterschule von Nabban. Die Mönche dort mieden ihn wie einen Pestkranken. Und doch leihst du ihm noch immer dein Ohr, als wäre er vertrauenswürdig wie Herzog Isgrimnur oder der alte Herr Fluiren. Sei kein Narr! Er wird der Untergang unseres Hauses sein.« Josua nahm sich zusammen. »Ich will nur eines: dir einen aufrichtigen Rat geben. Bitte, höre auf mich. Ich habe keinerlei Absichten auf den Thron.«
    »Dann verlass die Burg!«, knurrte Elias und drehte seinem Bruder den Rücken zu, die Arme über der Brust verschränkt. »Geh, damit ich mich darauf vorbereiten kann, zu herrschen wie ein Mann – ohne dein Gejammer und deine Ratschläge.«
    Der ältere Prinz hatte die gleiche hohe Stirn und Adlernase, war jedoch weit kräftiger gebaut als Josua; er sah aus wie ein Mann, der jemandem mit bloßen Händen das Genick brechen kann. Seine Haare, ebenso wie Reitstiefel und Wams, waren schwarz, Mantel und Beinkleid vom Staub der Reise grün gefleckt.
    »Wir sind beide unseres Vaters Söhne, o zukünftiger König …« In Josuas Lächeln lag Spott. »Die Krone ist von Rechts wegen dein. Was wir einander vorwerfen, braucht dich nicht zu kümmern. Deine schon bald königliche Person wird ganz und gar nichts von mir zu befürchten haben – mein Wort darauf. Aber «, seine Stimme wurde eindringlicher, »ich lasse mich nicht, hörst du, nicht aus meines Vaters Haus weisen, und zwar von niemandem. Auch nicht von dir, Elias.«
    Sein Bruder fuhr herum und starrte ihn an. Als ihre Blicke einander begegneten, kam es Simon vor, als blitzten Schwerter auf.
    »Was wir einander vorwerfen?«, fauchte Elias, und es klang etwas Zerbrochenes und Qualvolles aus seiner Stimme. »Was kannst du mir vorwerfen? Deine Hand?« Er entfernte sich ein paar Schritte von Josua und blieb mit dem Rücken zu seinem Bruder stehen. Seine Worte troffen vor Bitterkeit. »Den Verlust einer Hand. Ja. Aber deinetwegen stehe ich hier als Witwer, und meine Tochter ist halb verwaist. Sprich mir also nicht von Vorwürfen!«
    Josua schien eine Weile den Atem anzuhalten, bevor er erwiderte. »Dein Schmerz … ich kenne deinen Schmerz, Bruder«, meinte er endlich. »Weißt du denn nicht, dass ich nicht nur meine rechte Hand, sondern mein Leben gegeben hätte?«
    Elias wirbelte herum, griff sich mit der Hand an den Hals und zerrte etwas Glitzerndes aus seinem Wams. Simon starrte mit aufgerissenem Mund durch das Geländer. Es war kein Messer, sondern etwas Weiches und Nachgiebiges, wie ein Streifen aus schimmerndem Stoff. Einen höhnischen Moment lang hielt Elias es seinem Bruder vor das erschreckte Gesicht, schleuderte es dann zu Boden, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte durch den Mittelgang davon. Lange blieb Josua regungslos stehen, bis er sich schließlich bückte wie ein Träumender und den glänzenden Gegenstand aufhob – den silbernen Schal einer Frau. Er schaute ihn an, schützte den Glanz in der hohlen Hand, und eine

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