Der Drachenbeinthron
Die überlebenden Hernystiri flohen in die Wälder ihrer Heimat zurück. Heute ist Agh Samrath in Hernystir ein Name, der nur Hass und Verlust bedeutet.«
»Zehntausend!« Simon stieß einen Pfiff aus. Seine Augen glänzten, so furchtbar und großartig war das alles.
Morgenes quittierte den Gesichtsausdruck des Jungen mit einer kleinen Grimasse, sagte jedoch nichts dazu.
»Das war der Tag, an dem die Vorherrschaft der Sithi in Osten Ard endete, auch wenn es drei lange Belagerungsjahre dauerte, bis Asu’a den siegreichen Nordmännern in die Hände fiel. Hätte nicht der Sohn des Erlkönigs unheimliche, schreckliche Zauberkünste geübt, würde wahrscheinlich kein einziger Sitha den Fall der Burg überlebt haben. So aber blieben viele am Leben, flohen in die Wälder oder nach Süden oder … an andere Orte.«
Jetzt war Simons Aufmerksamkeit gebannt, als hätte man sie festgenagelt. »Und der Sohn des Erlkönigs? Wie hieß er? Was für einen Zauber hat er benutzt?« Ein plötzlicher Einfall: »Und was ist mit Johan dem Priester? Ich dachte, Ihr wolltet mir auch vom König erzählen!«
»Ein andermal, Simon.« Morgenes fächelte sich mit einem Stoß hauchdünnen Pergaments die Stirn, obwohl es recht kühl im Zimmer war. »Es gibt noch viel zu erzählen über die dunklen Zeiten nach Asu’as Fall, viele Geschichten. Die Rimmersmänner haben hier geherrscht, bis der Drache kam. In späteren Jahren, als der Drache schlief, hielten wieder andere die Burg. Viele Jahre vergingen, und zahlreiche Könige herrschten auf dem Hochhorst, viele dunkle Jahre und viele Tode sind zu verzeichnen, bis Johan kam …« Er verstummte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als wollte er die Müdigkeit abstreifen.
»Aber was wurde aus dem Sohn des Sithikönigs?«, fragte Simon erneut. »Und was war das für ein ›unheimlicher Zauber‹?«
»Über den Sohn des Erlkönigs … spricht man besser nicht.«
»Aber warum?«
»Genug gefragt, Junge!«, knurrte Morgenes und wedelte mit den Händen. »Ich bin müde vom Reden!«
Simon war gekränkt. Er hatte ja nur die ganze Geschichte hören wollen; warum regten sich Erwachsene so leicht auf? Aber man durfte schließlich nicht das Huhn schlachten, das die goldenen Eier legte.
»Tut mir leid, Doktor.« Er strengte sich an, ein reuiges Gesicht zu machen, aber der alte Gelehrte mit seinem rosigen, geröteten Affengesicht und den widerspenstig in die Höhe stehenden Haarsträhnen sah einfach zu komisch aus. Simon fühlte, wie ein Lächeln seine Lippen kräuselte. Morgenes sah es, bewahrte jedoch die strenge Miene.
»Wirklich, es tut mir leid.« Unverändert. Was sollte er noch versuchen? »Ich danke Euch, dass Ihr mir diese Geschichten erzählt habt.«
»Keine Geschichten!«, brüllte Morgenes. »Geschichte! Und jetzt fort mit dir! Komm morgen früh wieder, und stell dich aufs Arbeiten ein, denn du hast ja noch nicht einmal mit der Arbeit von heute richtig angefangen!«
Simon stand auf. Er gab sich Mühe, das Lächeln zu unterdrücken, aber als er sich umdrehte und gehen wollte, riss es sich los und legte sich über sein Gesicht wie eine Strumpfbandnatter. Als sich hinter ihm die Tür schloss, hörte er Morgenes fluchen, welche unirdischen Dämonen ihm schon wieder den Porterkrug versteckt hätten.
Die Nachmittagssonne stach durch Risse in den schweren Wolken, als Simon zum Inneren Zwinger zurückging. Äußerlich betrachtet, schien er zu trödeln und Maulaffen feilzuhalten, ein langer, schlaksiger, rothaariger Junge in staubverkrusteter Kleidung. In seinem Inneren aber wimmelte es von sonderbaren Gedanken, ein Bienenstock voller summender, murmelnder Sehnsüchte.
Schau diese Burg an, dachte er – alt und tot, Stein auf leblosen Steingepresst, ein Felshaufen, von kleingeistigen Kreaturen bewohnt. Aber das war einmal anders gewesen. Große Dinge hatten sich hier ereignet. Hörner waren erklungen, Schwerter hatten in der Sonne geglitzert, große Heere waren aufeinander gestoßen und wieder zurückgeprallt wie die Wogen des Kynslagh, die an die Mauer des Seetores schlugen. Jahrhunderte waren seitdem vergangen, aber Simon schien es, als geschehe es gerade jetzt und nur für ihn, während das langsame, vernunftlose Volk, das die Burg mit ihm teilte, vorüberkroch, im Kopf nur die nächste Mahlzeit und das Nickerchen unmittelbar danach.
Dummköpfe.
Als er durch das hintere Tor trat, fiel ihm ein Lichtschimmer ins Auge und lenkte seinen Blick auf den Umgang oben auf dem Hjeldinturm. Ein
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