Der Drachenbeinthron
– ich nehme auch nicht an, dass deine gefiederten Waisen damit sehr glücklich geworden wären.«
Morgenes schloss die kleine Tür wieder, band sie mit einem Lederriemen fest zu und stellte den Käfig hoch oben ins Regal. Dazu war er auf den Tisch gestiegen und wanderte dann über dessen ganze Länge weiter, wobei er sich geschickt über die vollgemüllte Oberfläche vorwärtsschob, bis er gefunden hatte, was er suchte, und herunterhüpfte. Dieser Behälter, aus dünnen Holzlatten gebaut, enthielt keinen verdächtigen Sand.
»Grillenkäfig«, erklärte der Doktor und half dem Jungen, die Vögel in ihr neues Heim zu setzen. Ein kleiner Wassernapf wurde hineingestellt, und aus irgendeinem anderen Winkel förderte Morgenes sogar noch ein winziges Säckchen mit Sämereien zutage, die er auf den Käfigboden streute.
»Sind sie denn alt genug dafür?«, fragte Simon erstaunt.
Der Doktor wedelte sorglos mit der Hand. »Keine Sorge«, erläuterte er. »Gut für ihre Zähne.«
Simon versprach seinen Vögeln, bald mit etwas Geeigneterem wiederzukommen, und folgte dem Doktor durch das Studierzimmer.
»Nun, junger Mann, der du die Finken und die Schwalben bezauberst«, lächelte Morgenes, »was kann ich an diesem kalten Vormittag für dich tun? Mir scheint, dass wir neulich dein gerechtes und ehrenwertes Froschgeschäft noch nicht ganz abgewickelt hatten.«
»Ja, und ich hatte gehofft …«
»Und ich glaube, da war noch etwas anderes?«
»Was denn?« Simon dachte scharf nach.
»Eine Kleinigkeit von einem Fußboden, der ausgefegt werden sollte. Ein Besen, einsam und verlassen, mit einem Reisigherzen voll schmerzlicher Sehnsucht nach Benutzung …«
Simon nickte düster. Er hatte gehofft, seine Lehre würde mit verheißungsvolleren Dingen beginnen.
»Oho. Eine gewisse Abneigung gegen niedere Dienste?« Der Doktor hob eine Braue. »Verständlich, jedoch fehl am Platz. Man sollte diese alltäglichen Aufgaben, die den Körper in Anspruch nehmen, Geist und Herz aber ungefesselt lassen, hoch schätzen. Nun, wir wollen uns bemühen, dir über deinen ersten Diensttag hinwegzuhelfen. Ich habe mir eine großartige Methode ausgedacht.« Er machte einen komischen kleinen Tanzschritt. »Ich rede, du arbeitest. Gut, wie?«
Simon zuckte mit den Achseln. »Habt Ihr einen Besen? Ich habe meinen vergessen.«
Morgenes stocherte hinter der Tür herum und brachte endlich etwas zum Vorschein, das so abgewetzt und voller Spinnweben war, dass man es kaum noch als Kehrwerkzeug erkennen konnte.
»Nun denn«, sagte der Doktor und präsentierte es Simon mit soviel Würde, als wäre es das persönliche Banner des Königs, »wovon soll ich dir erzählen?«
»Von den Seeräubern und ihrem schwarzen Eisen und den Sithi … und natürlich von unserer Burg. Und von König Johan.«
»Aaah. Ja.« Er nickte nachdenklich. »Eine ziemlich lange Liste, aber wenn uns dieser hohlköpfige Faulpelz Inch nicht wieder unterbricht, könnte ich sie vielleicht ein wenig verkürzen. Fang an, Junge, fang an – lass den Staub fliegen! Aber wo war ich eigentlich stehengeblieben?«
»Oh, die Rimmersmänner waren gekommen, und die Sithi zogen sich zurück, und die Rimmersmänner hatten eiserne Schwerter und hackten die Leute in Stücke und brachten sie alle um und töteten die Sithi mit schwarzem Eisen …«
»Soso«, meinte Morgenes trocken, »jetzt fällt es mir wieder ein. Hmmm. Nun, um die Wahrheit zu sagen, die Nordräuber brachten nicht alle um; auch ihr Vordringen und ihre Angriffe waren vielleicht nicht ganz so gnadenlos, wie ich das dargestellt habe. Viele Jahre lebten sie im Norden, bevor sie überhaupt die Frostmark durchquerten – und selbst dann stießen sie noch auf ein erhebliches Hindernis: die Männer von Hernystir.«
»Ja, aber das Sithivolk!« Simon war ungeduldig. Er wusste alles über die Hernystiri – er hatte schon viele Leute aus diesem heidnischen Land im Westen gesehen. »Ihr sagtet, die kleinen Leute hätten vor den eisernen Schwertern fliehen müssen!«
»Keine ›kleinen Leute‹, Simon. Ich … oje!« Der Doktor ließ sich auf einen Haufen in Leder gebundene Bücher sinken und zupfte sich am spärlichen Kinnbart. »Ich sehe schon, dass ich dir die Geschichte ausführlicher erzählen muss. Erwartet man dich zum Mittagessen?«
»Nein«, log Simon, ohne zu zögern. Eine durch nichts unterbrochene Geschichte des Doktors schien ihm ein guter Gegenwert für eine Tracht Prügel von Rachel zu sein.
»Gut. Dann wollen wir uns ein
Weitere Kostenlose Bücher