Der Drachenbeinthron
nachdenklich als besorgt. »Leider führt der Zufluss auch an einem der beiden Lager vorbei. Aber das lässt sich nun einmal nicht ändern. Ihr müsst eben ganz lautlos paddeln. Vielleicht hilft das sogar eurer Flucht. Ein Mann, der so stur ist wie euer Baron Heahferth – und glaubt mir, ich habe schon mit ihm und seinesgleichen zu tun gehabt –, kann sich einfach nicht vorstellen, dass seine Beute so nah an ihm vorüberschlüpfen würde.«
»Heahferth macht mir auch keine Sorge«, erwiderte Binabik. »Es ist der andere, der in Wahrheit der Herr der Jagd ist – Ingen Jegger, der Schwarze Rimmersmann.«
»Wahrscheinlich schläft er überhaupt nicht«, bemerkte Simon. Die Erinnerung an diesen Mann behagte ihm ganz und gar nicht.
Geloë verzog das Gesicht. »Habt keine Angst. Oder lasst euch wenigstens nicht von ihr bezwingen. Vielleicht gibt es die eine oder andere nützliche Ablenkung … man weiß nie.« Sie stand auf. »Komm, Junge«, sagte sie zu Simon, »du bist groß und kräftig. Hilf mir, das Boot loszubinden und es leise an die Brücke vor der Haustür zu ziehen.«
»Kannst du es sehen?«, zischte Geloë und deutete auf etwas Dunkles, das auf der anderen Seite des aus dem Wasser ragenden Hauses auf dem ebenholzschwarzen See tanzte. Simon, schon bis zu den Knien im Wasser, nickte. »Dann mach leise«, mahnte sie – ziemlich unnötig, fand Simon.
Während er, den Kopf auf Höhe der auf Stelzen ruhenden Bodenbretter, um das Haus herumwatete, kam Simon zu dem Ergebnis, dass er sich am Nachmittag doch nicht geirrt hatte, als es ihm vorgekommen war, als hätte sich die Umgebung der Hütte irgendwie verändert. Der Baum dort, die Wurzeln halb im Wasser, den hatte eram ersten Tag gesehen, als sie ankamen; aber da – bei Usires, er war ganz sicher! – hatte der Baum auf der anderen Seite der Hütte gestanden, neben der zur Tür führenden Planke. Wie konnte ein Baum sich bewegen?
Mit den Fingern fand er das Haltetau des Bootes und griff nach oben, bis er an die Stelle kam, wo es an einer Art Ring, der vom Boden der Hütte herunterhing, festgemacht war. Während er sich, um den Knoten zu lösen, so sehr krümmte, dass ihm der Rücken weh tat, rümpfte er die Nase über den merkwürdigen Geruch. War es der See oder die Unterseite des Hauses, was da so roch? Neben den Ausdünstungen von feuchtem Holz und Schimmel war da noch eine Art merkwürdiger Tiergeruch, warm und moschusartig, jedoch nicht unangenehm.
Während er noch so ins Dunkel spähte, hellten sich die Schatten ein wenig auf. Er konnte sogar den Knoten erkennen. Seine Freude darüber wurde von der kalten Einsicht zerstört, dass es bald dämmern würde; seine Helferin war die abnehmende Dunkelheit. Er zog das Haltetau herunter und watete zurück. Das Boot zog er leise hinter sich her. Er konnte vage Geloës unbestimmte Gestalt erkennen, die sich dicht an die schräge Eingangsplanke duckte. So schnell es ging, steuerte er auf sie zu … bis er stolperte.
Es spritzte, und mit einem unterdrückten Aufschrei fiel er beinahe auf die Knie, zog sich aber gleich wieder hoch. Wo war er hängengeblieben? Es fühlte sich an wie ein Baumstamm. Er versuchte über das Hindernis wegzusteigen, trat aber mit dem nackten Fuß mitten darauf und musste sich zusammennehmen, um nicht wieder zu schreien. Obwohl es regungslos und fest dalag, fühlte es sich doch schuppig an wie ein Hecht aus dem Burggraben im Hochhorst oder eines der ausgestopften Fabeltiere, die bei Morgenes auf den Regalen standen. Als die kleinen Wellen sich beruhigten und er Geloës leise, aber wachsame Stimme fragen hörte, ob er sich verletzt hätte, sah er nach unten.
Obwohl das Wasser in der Dunkelheit so gut wie undurchsichtig war, war Simon überzeugt, den Umriss eines sonderbar aussehenden Baumstamms, oder besser: einer Art sehr großen Astes, zu erkennen, denn er konnte ausmachen, dass das, worüber er gestraucheltwar, dicht unter der Wasseroberfläche lag und sich dort mit zwei weiteren schuppigen Ästen vereinigte. Alle zusammen schienen mit dem Sockel eines der beiden Pfeiler verbunden zu sein, auf denen das Haus über dem See stand.
Und als er vorsichtig darüberstieg und lautlos durch das Wasser auf Geloë zuglitt, erkannte er auf einmal, dass die Baumwurzeln – oder Äste, oder was immer sie waren – wie ein riesenhafter Fuß aussahen. Oder eigentlich eine Klaue, eine Vogelklaue. Was für eine verrückte Idee! Ein Haus hatte keine Vogelfüße, genauso wenig wie ein Haus aufstand und
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