Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
dem Wasser. Man konnte zwar nicht genau erkennen, ob es wirklich die Mündung des Zuflusses war, aber Simon war davon überzeugt.
    Genau an der Stelle, von der Geloë gesprochen hat! , dachte er. Scharfe Augen hat sie – aber das ist ja auch nicht weiter erstaunlich. Er wies auf die dunkle Lücke im Seeufer, und Binabik nickte; er hatte sie ebenfalls gesehen.
    Als sie sich dem schweigenden Lager näherten, musste Binabik etwas kräftiger rudern, damit sie nicht zu langsam vorbeiglitten; Simon dachte, dass sich die Strömung des Zuflusses wohl allmählich bemerkbar machte. Vorsichtig hob er sein Paddel, um es über die Bootswand zu bringen, aber Binabik bemerkte die Bewegung aus dem Augenwinkel, drehte sich um und schüttelte den Kopf, wobei er lautlos die Worte noch nicht hauchte. Unmittelbar über dem vom Regen gekräuselten Wasser ließ Simon das kleine Paddel verharren.
    Als sie, keine dreißig Ellen vom Ufer, die Zelte passierten, sah Simon eine dunkle Gestalt zwischen den Wänden aus azurblauem Stoff herumgehen. Es schnürte ihm die Kehle zu. Ein Posten; unter dem Mantel nahm er den stumpfen Glanz von Metall wahr. Vielleicht blickte der Mann sogar in ihre Richtung, aber das war schwer festzustellen, weil er die Kapuze weit über den Kopf gezogen hatte.
    Gleich darauf hatten auch die anderen den Wächter erkannt. Binabik hob vorsichtig das Paddel aus dem Wasser, und alle bückten sich, um so wenig wie möglich von ihrem Umriss zu zeigen. Selbst wenn der Soldat zufällig auf den See schaute, übersah er sie vielleicht oder würde nur einen Baumstamm bemerken, der auf dem Wasser schaukelte – aber Simon war sicher, dass das einfach zu viel der Hoffnung war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Mann, wenn er sich umdrehte, sie nicht entdecken sollte; dazu waren sie ihm viel zu nahe.
    Die Fahrt des kleinen Bootes verlangsamte sich, und die dunkle Lücke in der Uferlinie kam näher. Es war der Zufluss. Simon konnte die kleinen Wellen sehen, dort wo das Wasser ein paar Meter aufwärts über den runden Rücken eines Felsblockes strömte.
    Auch ihre Fahrt hatte es schon fast abgebremst; die Nase des Bootes begann sich, von der leichten Strömung abgewiesen, bereits zu drehen. Sie würden bald die Paddel eintauchen müssen oder genau unter den blauen Zelten ans Ufer treiben. Und in diesem Augenblick war der Posten mit dem fertig, was auf der anderen Seite des Lagers seine Aufmerksamkeit erregt hatte, und drehte sich um, um auf den See hinauszuschauen.
    In derselben Sekunde, noch ehe die in ihnen aufsteigende Furcht sie wirklich erfassen konnte, fiel aus den Bäumen über dem Lager etwas Dunkles senkrecht auf den Posten hinunter. Es segelte wie ein riesiges graues Blatt durch die Äste und landete auf seinem Hals; aber dieses Blatt hatte Klauen. Als er sie an der Kehle fühlte, stieß der Gepanzerte einen Schreckensschrei aus, ließ den Speer fallen und schlug auf das Wesen ein, das ihn gepackt hielt. Die graue Gestalt flatterte mit schwirrenden Schwingen in die Höhe und schwebte gerade außer Reichweite über seinem Kopf. Wieder schrie der Mann, griff sich an den Hals und tastete auf der Erde nach seinem Speer. »Jetzt!«, zischte Binabik. »Paddelt!« Er, Marya und Simon tauchten die hölzernen Blätter ins Wasser und ruderten mit aller Macht. Die ersten Schläge schienen sie nicht weiterzubringen, sinnlos spritzte Wasser, und das Boot schaukelte. Dann begannen sie sich langsam gegen die Strömung des Flusses in Bewegung zu setzen und unter den überhängenden Ästen hindurchzugleiten.
    Simon blickte sich um und sah den Posten, der barhäuptig herumhüpfte und nach dem über ihm schwebenden Wesen schlug. Ein paar von den anderen Männern hatten sich auf ihren Schlafdecken aufgerichtet und lachten über den Anblick ihres Kameraden, der den Speer wieder fallen gelassen hatte und jetzt mit Steinen nach dem verrückten, gefährlichen Vogel warf. Die Eule wich den Geschossen mit Leichtigkeit aus. Als Simon den Vorhang aus belaubten Zweigen hinter dem Boot herunterzog, schwenkte sie spöttisch den breiten weißen Schwanz und kreiste nach oben in die Schatten der Bäume.
    Sie stemmten sich gegen die widerspenstige Strömung, die überraschend stark war, obwohl sich an der Oberfläche gar nichts zu bewegen schien, und Simon gluckste leise triumphierend vor sich hin.
    Eine lange Zeit ruderten sie so den Fluss hinauf. Auch wenn sie nicht gewusst hätten, dass sie still sein mussten, wäre ihnen eine Unterhaltung

Weitere Kostenlose Bücher